Verwüstung

hatte. Sie verspürte ein Kribbeln in ihren Fingerspitzen, wie eine leichte elektrische Spannung, und plötzlich landete eine wichtige Information am richtigen Ort.
    »Er benutzt nicht seinen echten Namen. Nicht für den Lieferwagen, nicht für den Aufkleber … Sein Nachname reimt sich auf etwas …« Sie neigte den Kopf, lauschte einem inneren Flüstern, konnte aber nicht alles hören. »Es ist wie Carter, Jimmy Carter, aber das ist es nicht. Es ist aber nah dran.«
    Dillards Augen glitzerten wie Sterne. »Noch etwas?«
    »Nein. Das war’s. Mehr kann ich nicht tun, Leo.«
    Sie entfernte sich zügig von ihm, sie wollte bloß weit weg von ihm kommen, so schnell sie ihre Beine trugen. Die Sonne war jetzt aufgegangen, und überall, wohin sie schaute, entdeckte sie Zeichen, dass die Inselbewohner die Hurrikan-Vorwarnung trotz allem ernst nahmen. Laster mit Sperrholzplatten fuhren die Straße hinauf, in die Auffahrten. Die Leute waren herausgekommen und brachten ihre Fensterabdeckungen an, sie stutzten ihre Bäume und Büsche. Während sie in Trance gewesen war, hatte in der Welt ein neuer Tag voll Unsicherheit begonnen.
    Sie verspürte einen plötzlichen Drang, zurück in ihren Buchladen zu gehen und ihre Ware in den Lieferwagen zu laden, die Aluminiumpaneele anzubringen, die Gartenmöbel hereinzuholen. Ihr Unbehagen war zu drängend, um es zu ignorieren.
    Annie durchbrach das Schweigen als Erste. »Wenn wir zurück zum Laden wollen, dann ist das ziemlich weit zu Fuß, Mom.«
    »Du kannst mit ihnen fahren, wenn du willst. Ich kann es nicht ertragen, in seiner Nähe zu sein.«
    »Was hast du über ihn gesehen?«
    Mira wollte nicht, dass Dillard es mithörte. Sie dachte kurz nach und sagte dann in ihrer Geheimsprache: »Er hat Spielschulden. Daran zerbricht seine Ehe. Sein Haus ist hochverschuldet. Und ich glaube, wenn er diesen Bankräuber fasst …«
    »Franklin«, sagte Annie, dann sagte sie, dass Dillard nicht mehr in Hörweite war.
    Sie wechselten ins Englische. »Ja, den. Wenn Leo diesen Franklin schnappt, bekommt er dafür Geld von jemandem oder hat irgendeinen finanziellen Vorteil davon.« Da war noch mehr, eine tiefere Schicht, die Dillard und diese ganze Angelegenheit betraf, aber an die sie nicht herankam. »Ich bin mir mit den Einzelheiten nicht sicher.«
    »Wo sind die Verbrecher?«
    »Noch auf der Insel. Mehr weiß ich nicht. Hey, kannst du auf deinem PDA einen aktuellen Wetterbericht abrufen?«
    »Klar.« Sie zog den Palm Pilot heraus, den Sheppard ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. »Wenn ich eine Verbindung bekomme. Manchmal ist das nicht ganz einfach.« Annie lehnte sich an einen Baum und begann, mit der Professionalität einer Pianistin mit ihrem kleinen schwarzen Eingabestift auf dem Gerät herumzuspielen.
    Sheppard holte sie ein. Sein Ausdruck war nicht zu deuten. Mira konnte nicht sagen, ob er fröhlich, reuevoll oder irgendwas dazwischen war, und sie würde ihn jetzt nicht lesen. Im Moment könnte sie wahrscheinlich sowieso nicht mal ihren großen Zeh lesen, selbst wenn sie müsste. »Willst du nicht mitfahren?«, fragte er.
    »Mit Dillard im Wagen? Nein, danke.«
    Sheppard steckte die Hände in die hinteren Taschen seiner Jeans und kickte einen Kiesel vom Bürgersteig. Sie konnte spüren, dass er seine Worte – und das Tempo – sorgfältig wählte. »Ein halbes Dutzend dunkler Lieferwagen sind seit dem Gefängnisausbruch in dieser Gegend angehalten worden. Die Namen werden gerade überprüft. Du hast uns einen entscheidenden Hinweis gegeben, Mira.«
    »Aber der Name stimmt nicht«, sagte sie.
    »Für uns ist es aber ein Anfang. Wir sind ziemlich sicher, dass es Billy Joe Franklin ist, und wenn wir wissen, welchen Namen er jetzt verwendet, dann können wir nach Bankkonten und Grundstücken unter diesem Decknamen suchen. Wir …« Er zog die Hände aus seinen Gesäßtaschen und legte die Arme vor der Brust über Kreuz. »Hey, sei nicht sauer auf mich, Mira. Dillard wollte, dass ich dich dazu bringe, runter auf die Wache zu kommen. Ich glaube, das ist der einzige Grund, dass er mich dazugeholt hat. Also habe ich ihm gesagt, er soll dich selber anrufen.«
    »Wenn er dich je wieder fragt, sag ihm einfach ab, Shep. Bring mich nicht wieder in so eine Lage.«
    Sheppards Kiefer verspannte sich, sein Ausdruck wurde ärgerlich, und ein schreckliches Schweigen flutete seine Augen. »Niemand hat dich in irgendeine Lage gebracht. Du hättest einfach Nein sagen können, als er anrief.«
    Egal, ob er Dillard