Verzehrende Leidenschaft
gegenübertreten konnte, würde sie Mungan nie davon überzeugen können, dass sie eine starke Verbündete sein konnte.
In der Großen Halle angelangt, suchte sie sogleich nach Una und fand sie nur wenige Schritte entfernt rechts neben der Türe stehen. Als sie das bleiche Gesicht und die schreckgeweiteten Augen ihrer Cousine bemerkte, eilte sie sofort zu ihr. Merkwürdigerweise wurde sie selbst etwas ruhiger, als sie merkte, dass Una kurz vor einem Zusammenbruch stand. Es würde nichts und niemandem helfen, wenn sie beide verängstigt und weinend vor Sir Bearnard treten würden. Der Kerl würde bestimmt seinen Spaß daran haben, überlegte sie und spürte, wie sich ein Funken Ärger in ihr regte.
»Una, beruhige dich«, meinte sie und gab einem Diener mit einem Wink zu verstehen, ihr einen Becher Wein zu bringen.
»Ich dachte, ich wäre ruhig«, murmelte Una mit unsicherer Stimme und nahm einen großen Schluck Wein. »Ich habe jetzt einen Ehemann, einen großen, starken noch dazu. Ich dachte, das würde reichen. Stattdessen stehe ich schreckliche Ängste aus.«
»So groß und stark Mungan ist, auch er kann nichts gegen die Angst tun, die dir von klein auf eingeprügelt worden ist.«
»Kommt und setzt euch zu uns«, rief Mungan, der wie immer in der Mitte des Tisches saß.
»Wenn Ihr nichts dagegen habt«, erwiderte Moira, »bleiben wir lieber hier. Ich glaube, es geht uns besser, wenn wir Sir Bearnard im Stehen begegnen.«
»Aye, so kann man leichter wegrennen«, murmelte Una.
»Dann werden wir uns zu euch gesellen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist«, meinte Tavig und setzte sich neben Mungan.
Moira nickte und wandte sich wieder Una zu, die noch immer am ganzen Leib zitterte. »Na bitte, das sollte dich doch beruhigen: zwei starke Männer mit griffbereiten Schwertern direkt neben uns. Und außerdem kannst du dich auf jeden einzelnen aus dem guten Dutzend weiterer Männer verlassen, die sich in dieser Halle herumtreiben.«
»Ich weiß. Ich wünschte, ich könnte so tapfer sein wie du.«
»Tapfer? Mir ist speiübel vor Angst. Wenn Sir Bearnard in die Halle kommt, kann es gut sein, dass ich meinen Mageninhalt auf seine Stiefel entleere.« Sie lächelte, als ihre Cousine kicherte, wenn auch nur leise und unsicher.
Una seufzte, kramte ein Leinentüchlein aus ihrer Rocktasche und tupfte sich damit die feuchten Augen. »Seltsamerweise bin ich auch richtig traurig. Er ist mein Vater, Moira. Ich habe ihn seit Wochen, ja seit Monaten nicht mehr gesehen. Ich sollte mich auf ihn freuen, ich sollte es kaum erwarten können, ihm von meiner Hochzeit und meinem Ehemann zu erzählen. Stattdessen stehe ich hier und bete, dass ihn irgendein böses Schicksal ereilen möge, bevor er dieses Tor erreicht. Ist das nicht traurig? Ich bin bestimmt die undankbarste Tochter, mit der ein Mann je geschlagen worden ist.«
Moira nahm Una bei den Schultern und schüttelte sie sanft. »Genau dieser Gedanke würde Sir Bearnard gefallen. Du bist mit einem Mann verheiratet, den du liebst und mit dem die meisten Väter gern ein Bündnis schließen würden. Wenn zwischen dir und deinem Vater nichts steht außer Angst, dann ist es dein Vater, der diese Angst dorthin gestellt hat. Du hast wahrhaftig nichts von ihm bekommen, wofür du ihm dankbar sein müsstest, außer vielleicht, dass er dich nicht umgebracht hat.«
»Aye, das ist mir schon klar. Aber trotzdem ist es traurig.«
»O ja, daran ist nicht zu rütteln.« Moira verspannte sich, als sie hörte, wie sich mehrere Leute der Großen Halle näherten. Die beiden jungen Frauen erbebten gleichzeitig, als eine entsetzlich bekannte Stimme an ihr Ohr drang. »Immer mit der Ruhe, Una, bleib standhaft«, flüsterte Moira, und sie wusste, dass diese Mahnung auch an sie selbst gerichtet war.
Tavig und Mungan sprangen auf und eilten wie versprochen zu ihnen, während Mungans Leute Sir Bearnard und Nicol in die Große Halle geleiteten. Moira warf Tavig einen dankbaren Blick zu, als er Mungan in einem gewissen Abstand von ihnen festhielt. Damit waren sie nahe genug, um Una und sie zu unterstützen, aber nicht so nahe, dass es aussah, als würden die Frauen sich hinter ihren Männern verstecken. So konnten sie immerhin den Anschein von Tapferkeit wahren.
Doch sie fühlte sich alles andere als tapfer, als Sir Bearnards Blick auf sie fiel. Anfänglich wirkte er überrascht, sie am Leben zu sehen, doch gleich darauf verdunkelte sich seine Miene. Nicol strahlte sie an, wurde aber von seinem Vater
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