Verzehrende Leidenschaft
festsetzte und ihn zuschnürte. »Freches kleines Ding«, hatte Tavig gesagt. Gleich, nachdem sie zu ihrem Vormund gekommen war, hatte der sie oft so genannt. Sie hatte rasch gelernt, dass es ratsam war, ihre Zunge zu hüten. Schon die geringste Spur von Frechheit hatte ihr die schlimmsten Schläge eingebracht.
Sie schielte zu Tavig hinüber, der sie einen Moment lang stirnrunzelnd betrachtete, dann jedoch die Schultern zuckte und sich wieder auf den unebenen Pfad vor ihnen konzentrierte. Doch er hatte nicht so ausgesehen, als würde er sie gleich schlagen. Er sah nicht so aus, als ob er je an so etwas dächte. Trotzdem beschloss Moira, seine Worte als Warnung zu nehmen. Sie hatte gelernt, wie eng die Grenzen von Sir Bearnards Toleranz und Geduld gesteckt waren, und sie würde auch Tavigs Grenzen erforschen. Bislang hatte sie vor Tavig keine richtige Angst gehabt. Sie hatte sich mit ihm ungewöhnlich zwanglos und frei unterhalten. Das war wohl zu viel Freiheit gewesen, ging ihr durch den Sinn. Sie hatte dabei vergessen, wie unfreundlich die Männer waren. Ab sofort würde sie jedes Wort sorgfältig abwägen und darauf achten, so wenig wie möglich zu sagen. Schweigen hatte sich in den letzten Jahren ihres Lebens als der sicherste Weg erwiesen.
Als Moira stumm blieb, beschloss Tavig, sich darauf zu konzentrieren, einen möglichst gut begehbaren Pfad zu finden. Der kurze, erschrockene Blick, mit dem sie ihn bedacht hatte, hatte ihn gekränkt. Sie hatte sich spürbar von ihm zurückgezogen, auch wenn ihre Hand noch immer in der seinen lag. Tavig wusste, dass noch viel Arbeit vor ihm lag, wenn er erreichen wollte, was er als ihrer beider Schicksal erachtete – sie zu heiraten. Er wollte keine Frau, die bei jeder Bewegung zusammenzuckte. Er wusste, in Moira steckten ein scharfer Verstand und viel Kraft. Sir Bearnard hatte ihr den Mut genommen. Tavig nahm sich fest vor, ihr Mut zu machen.
4
Zeigt mir doch einmal Eure Füße, meine Liebe«, meinte Tavig und kniete sich vor Moira.
Sie schrie erschrocken auf, dann sah sie sich um. Zu ihrer Überraschung entdeckte sie, dass schon ein kleines Feuer brannte, die dünnen Decken zu einem kargen Lager ausgebreitet worden waren und die Hafergrütze vorbereitet war. Sie erinnerte sich nur noch, dass sie in einer Lichtung angehalten hatten und sie sich auf einen Stein gesetzt hatte, um sich kurz auszuruhen, bevor sie Tavig helfen wollte, das Lager herzurichten. Sie hatte die Lumpen von ihren schmerzenden Füßen abgenommen, und danach hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren.
»Nein, nein, sie sind schon in Ordnung«, protestierte sie und zog die Füße weg, als er nach ihnen greifen wollte.
Tavig musterte sie aufmerksam. Er runzelte die Stirn, als er bemerkte, dass in ihrem Blick nervöse Angst lag. »Das sind die ersten Worte, die Ihr seit Stunden geäußert habt. Warum wart Ihr so still? Heute früh war das ganz anders.«
»Ich habe alles Nötige gesagt. Ich wollte nicht zu frech sein.«
»Frech? Wie kommt Ihr denn darauf?«
»Das habt Ihr doch selbst gesagt. Ihr habt gesagt, ich sei ein freches kleines Ding.«
»Und deshalb seid Ihr so still und blass geworden? Ich habe Euch doch nur geneckt.« Er bemerkte, dass sich nun Wachsamkeit in ihren Blick schlich, ein Zeichen, dass sie nicht sicher war, ob sie ihm glauben sollte. »Wirklich! Es ist doch kein Verbrechen, ein bisschen frech zu sein.«
»Mein Vormund ist da anderer Meinung.« Moira wich vor Tavig zurück, als sich seine Gesichtszüge vor Zorn verhärteten.
»Ich bin nicht Euer verflixter Vormund. Ich werde Euch nicht schlagen, nur weil Ihr etwas sagt, was mir womöglich nicht gefällt.« Er zog ihren kleinen Fuß am Knöchel zu sich. »Es würde wahrhaftig mehr als ein paar frecher oder verdrossener Bemerkungen bedürfen, bevor ich daran denken würde, ein Mädchen zu schlagen. So etwas liegt mir überhaupt nicht.« Er betrachtete ihren Fuß und begann zu fluchen. »Kein Wunder, dass Ihr angefangen habt zu hinken. Ihr habt diese hübschen Füßchen ziemlich derb hergenommen.«
»Ich habe sie derb hergenommen?«
»Jawohl. Ihr hättet besser darauf achten sollen, wo Ihr Eure Füße hinsetzt, anstatt beleidigt zu sein, nur weil ich Euch als frech bezeichnet habe.«
Moira ballte ihre Hände zu Fäusten. Nur mit Mühe konnte sie sich davon abhalten, ihm damit auf den Kopf zu trommeln. Doch stimmte es wirklich, dass er nicht dazu neigte, Frauen zu schlagen? Manchmal konnte ein Mann derartiges äußern und im
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