Verzehrende Sehnsucht
hob, konzentrierte sie sich vollkommen aufs Schießen. Nichts anderes als das Schwarze auf der Zielscheibe existierte mehr für sie. Sie zielte und wartete darauf, dass Dobbin das Startzeichen gab.
Er tat es, und das vertraute Sirren der Bogensehne erklang an Beccas Ohr, als sie zurückschnappte. Ihr Pfeil flog schnurgerade durch die Luft und traf mitten ins Ziel. Sie lächelte zufrieden und blickte auf Sir Blaidds Scheibe.
Sein Pfeil steckte ebenfalls im Zentrum des schwarzen Zielfelds. Ein anerkennendes und zugleich ungläubiges Gebrüll erhob sich, als Trev und Dobbin auf die Zielscheiben zugingen, um zu überprüfen, wer den besseren Schuss abgegeben hatte. Becca klopfte ungeduldig mit dem Fuß, als die beiden sich eine lange Zeit berieten.
"Wir müssen beide fast genauso gut getroffen haben", meinte Sir Blaidd.
"Vermutlich", entgegnete sie kurz angebunden.
"Dobbin sagte, Ihr seid ein Naturtalent. Das seid Ihr wirklich, im Bogenschießen und beim Harfenspiel. In Wales würdet Ihr für diese Kunstfertigkeiten hoch geehrt werden."
Sie fragte sich, ob das wohl stimmen und wie es sich anfühlen mochte, von anderen Menschen voll und ganz anerkannt zu werden, anstatt von allen für seltsam und eigensinnig gehalten zu werden.
Dobbin hob die Hand. "Die Lady gewinnt!"
Erneut erhob sich Gebrüll. Hier und da ertönte aber auch ein Raunen, als die beiden Schiedsrichter an ihre Plätze zurückkehrten. Trevelyan Fitzroy hatte eine derartig bekümmerte Miene aufgesetzt, als hätte man ihm gerade mitgeteilt, dass die Sonne am nächsten Morgen nicht wieder aufgehen würde.
Becca hatte die Anspannung zwischen Sir Blaidd und seinem Knappen sehr wohl bemerkt, die seit dem Tag bestand, an dem sie mit Trev gemeinsam von dem Ausritt zurückgekehrt war. Sie verspürte nur eine leichte Anwandlung von Reue, dass sie – Becca – wahrscheinlich der Grund für die Feindseligkeit zwischen den Männdern war. Sir Blaidd hatte den Jungen zu Unrecht getadelt, und wenn er jetzt Probleme mit dem Knappen hatte, so war das weitaus eher Sir Blaidds Schuld als die ihre.
Im Moment wirkte Sir Blaidd jedoch gelöst und heiter. Auch dass sie den besseren Schuss abgegeben hatte, schien ihm überhaupt nichts auszumachen. "Der nächste muss besser werden", sagte er gleichmütig, als er nach einem weiteren Pfeil griff.
Becca wählte ebenfalls einen weiteren Pfeil aus. Sie und Blaidd hoben gleichzeitig die Bögen, und wieder drang Dobbins Startruf durch die erwartungsvolle Stille. Beccas Bogen surrte, und ihr Pfeil traf wieder das Ziel.
Allerdings neben das Zentrum.
Stöhnend schaute sie zu Sir Blaidds Scheibe. Sein Pfeil steckte beinahe an der gleichen Stelle wie der vorhergehende. Ihr kam unwillkürlich ein Fluch über die Lippen, einige Krieger brummten enttäuscht. Diesmal war keine lange Beratung notwendig. Trevelyan zog begeistert Sir Blaidds Pfeil aus der Scheibe, während ein verdrießlicher Dobbin den ihren an sich nahm.
"Vergebt mir meine Wortwahl", presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Das war keine Äußerung, die sich für eine Lady geziemt."
"Ihr verliert eben nicht gern", erwiderte Blaidd, der immer noch unendlich ruhig und kühl wirkte. "Ich auch nicht. Und was Eure Wortwahl betrifft – viele der Damen bei Hofe würden mit ihren Flüchen einen Krieger zum Erröten bringen."
"Und Ihr wart ohne Zweifel mit vielen von diesen Damen sehr nahe bekannt."
"Mit einigen", antwortete er. "Auf jeden Fall mit so vielen, um zu wissen, dass eine Frau nicht allein durch ihre Herkunft zur Lady wird. Einige Frauen, die ich kenne, sind von geringerer Geburt, und sie entsprechen weitaus mehr diesem Ideal – sie sind sanft, höflich, großzügig und freundlich."
Sir Blaidd hielt sie bestimmt nicht für eine Lady. Das war Becca klar. "Die besten zwei aus drei Versuchen, nicht wahr?" fragte sie und griff nach einem weiteren Pfeil.
"Ja, Mylady."
Blaidd legte seinen Pfeil an und spannte seinen Bogen – Becca tat es ihm gleich. Sie presste die Lippen zusammen und war entschlossen, ihn zu besiegen. Dieser Schuss musste ins Schwarze gehen.
"Und los!" rief Dobbin. Und diesmal traf Beccas Pfeil auch wieder mitten ins Schwarze, sehr zu Beccas Freude und Erleichterung. Dieser Schuss war sogar besser als ihr erster, während Sir Blaidds Pfeil weit entfernt vom Ziel landete.
Sie sprang vor Freude hoch und hätte beinahe gejubelt, nahm sich dann aber augenblicklich zusammen. Schadenfroh wollte sie nicht wirken.
Trevelyan Fitzroy
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