Verzehrende Sehnsucht
auf und schaute den jungen Mann zornig an. "Wie ich sehe, muss ich dir auch noch einen Vortrag darüber halten, wie aufgeblasen und engstirnig es ist, einen Menschen allein nach seinem Äußeren zu beurteilen."
Blaidd drehte sich um und ging zum Tisch am anderen Ende des Raumes. Er goss ein wenig Wasser in einen Pokal, um sich wieder zu beruhigen. Der Junge hatte nur das ausgesprochen, was viele andere Menschen dachten. Blaidd ärgerte sich, dass er nicht in der Lage war, sein Temperament besser zu zügeln. Er kannte sich schließlich mit Vorurteilen aus. Bei Hofe hatten viele Ritter schon solch unschmeichelhafte Dinge über Waliser geäußert, dass Blaidd ständig mit Vorurteilen konfrontiert war. Diejenigen, gegen die er später in Turnieren gekämpft hatte, hatten anschließend stets ihre Zunge im Zaum gehalten.
Doch hier ging es schließlich um etwas anderes, es ging um Becca.
Er reichte Trev den Pokal. "Nur leicht nippen, nicht zu viel auf einmal herunterschlucken", mahnte er.
Als der Junge tat, wie ihm geheißen, meinte Blaidd: "Lady Rebecca mag vielleicht äußerlich nicht so schön sein wie ihre Schwester, aber dafür hat sie viele andere Qualitäten. Sie ist ein guter Mensch, intelligent und freundlich, spielt die Harfe wie ein Engel, führt den Haushalt dieser Burg so gut, wie unsere Mütter es tun würden, und …" Er gab vielleicht zu früh zu viel von seiner Zuneigung für sie preis. "Du solltest sie deshalb respektieren und bewundern, auch wenn sie humpelt."
"Ich bewundere und respektiere sie – sogar sehr", entgegnete Trev, nachdem er den Pokal auf dem kleinen Tisch abgestellt hatte, der neben dem Bett stand. Trev sah jetzt schon wieder wesentlich besser aus. "Ich wusste nur nicht, dass du sie so gern hast. Das ist alles."
Blaidd gab darauf keine Antwort, ging zurück zu dem großen Tisch und zog ein Leinentuch von einem Tablett. Der Duft von frischem Brot stieg Trev in die Nase. "Magst du etwas essen?" fragte Blaidd.
"Ich weiß nicht", erwiderte Trev vorsichtig. "Was meinst du?"
"Es ist lange her, dass ich derart sternhagelvoll gewesen bin. Ein einziges Mal hat mir gereicht – und ich hoffe, bei dir wird es ebenso sein. Das ist nicht die richtige Art, sich Anerkennung und Respekt zu verschaffen."
Trev beäugte bedächtig den Brotlaib. Ein wenig Hunger regte sich in ihm. "Vielleicht wird ein Bissen meinen Magen etwas beruhigen."
Blaidd nickte und brachte ihm das Tablett. Der Junge brach ein Stück Brot ab und begann, so vorsichtig wie ein Novize darauf herumzukauen. Blaidd setzte sich wieder auf das Ende des Bettes. "Nun, welche Strafpredigt willst du als Erstes hören – die über den Wahnsinn, mit Huren zu verkehren, oder die über die Dummheit, Menschen nach dem Äußeren zu beurteilen?"
Trev seufzte. Das würde ein langer, unerfreulicher Morgen werden.
Becca lächelte über die Widersprüchlichkeit des Lebens und summte leise vor sich hin. Sie zog ein hübsches blaues Samtkleid hervor, das ihr ihr Vater zu Weihnachten geschenkt hatte. Jetzt, wo sie sich nicht schön anziehen musste, um die Aufmerksamkeit eines Mannes zu erregen, stand ihr auf einmal selbst der Sinn nach hübschen Gewändern.
"Du bist ja heute Morgen so fröhlich", meinte Laelia, während Meg ihr das smaragdgrün-goldene Damastkleid zuschnürte.
"Es ist ein herrlicher Tag", erwiderte Becca. Was auch durchaus stimmte. Die Sonne schien, die Luft war warm, die Düfte der Kräuter aus dem Küchengarten stiegen hoch zum Fenster – und was das Beste von allem war, Blaidd Morgan mochte sie – Becca. Er mochte sie lieber als Laelia. Er mochte sie so sehr, dass er sie mit Leidenschaft und Verlangen geküsst hatte. Er mochte sie genug, dass er um ihre Hand anhalten wollte. Und vielleicht – oh, was für ein wunderbarer, aufregender Gedanke – würde sich seine Zuneigung bald in Liebe verwandeln.
Becca hatte stundenlang wach gelegen, nachdem sie letzte Nacht in ihr Zimmer zurückgekehrt war. Laelia hatte zu ihrer großen Erleichterung schon geschlafen. Becca war unter ihre Decke geglitten und hatte sich an Blaidds Küsse erinnert, seine Umarmung, die Aufregung, das Begehren und all die Worte, die er gesagt hatte. Sie hätte nicht glücklicher sein können, wenn ihr Bein plötzlich wieder gesund geworden wäre.
Sie betrachtete noch einmal das Kleid und runzelte die Stirn. Wenn sie keinen Verdacht erregen wollte, sollte sie sich genauso verhalten wie immer. Wenn sie sich auf andere Weise kleidete, würden sich die
Weitere Kostenlose Bücher