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Verzwickt chaotisch

Verzwickt chaotisch

Titel: Verzwickt chaotisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Wald raus! Sofort!«
    Frau Dangel und ich waren selten einer Meinung. Aber in diesem Punkt sprach sie mir aus dem Herzen. Ich wollte auch aus dem Wald raus. Abgesehen davon, dass Wandern das Langweiligste war, was man tun konnte, umschwirrten uns die Mücken, wir hatten Durst und Hunger und meine Beine brannten, weil ich beim Klettern in Brennnesseln gefallen war.
    »Da vorne ist ein Schild«, meldete sich Seppo beflissen zu Wort. »Und ich hab einen guten Orientierungssinn. Wir müssten bald wieder zurück an der Burg sein.«
    Ich schaute ihn herausfordernd an und tat so, als ob ich mir den Finger in den Hals stecken und würgen würde. Puh, was für eine elende Schleimerei. Doch er übersah meine Geste. Für ihn existierte ich heute Morgen nicht mehr und das tat doppelt weh.
    Auf dem Rückweg erzählte ich Sofie das Wenige, was ich über Serdan wusste. Das Rätsel lösen konnten wir damit nicht. Und ich wollte Sofie nicht darauf aufmerksam machen, dass Billy ebenfalls ganztägig Kaugummi kaute. Von Billy mochte sie bestimmt nicht nachts heimlich geküsst werden. Erst recht nicht mit offenem Mund. Ich traute Sofie aber auch zu, dass sie alles nur geträumt hatte. Mir war jede Variante recht, sogar die mit Serdan, solange Sofie mich nicht anfeindete wie die anderen.
    Pünktlich zum Mittagessen kehrten wir abgekämpft und erhitzt in die Jugendherberge zurück. Herr Rübsam und Frau Dangel stritten nicht mehr, sondern marschierten mit verkniffenen Gesichtern zu ihren Plätzen und schaufelten sich bergeweise Essen auf die Teller, ohne sich einen Blick oder ein Wort zu gönnen. Normalerweise hätte ich das lustig gefunden. Aber ich war so müde, dass mir sogar das Kauen schwerfiel. Meine Augen tränten und ich musste immer wieder niesen – mein Sonne-Müdigkeits-Schnupfen. Andere Leute bekamen Heuschnupfen. Ich bekam Schnupfen, wenn ich zu viel Sonne abgekriegt hatte und müde war. Mama meinte, das läge daran, dass ich rothaarig sei. Ich sei nicht für die Sonne erschaffen worden. In diesen Minuten glaubte ich ihr das. Ich sehnte mich nach einem kühlen, dunklen Zimmer.
    Und das sagte ich Herrn Rübsam auch. Nein, nicht genau das – ich fragte ihn, ob ich einen Mittagsschlaf machen könne. Ich wusste, dass das albern klang. Als wäre ich ein kleines Mädchen. In meinem Nacken schwoll neues Kichern an, aber ich legte eine Hand hinter meinen Rücken und zeigte den anderen den Stinkefinger und das Kichern verebbte. Herr Rübsam legte sein Besteck auf den Tisch, wischte sich den Mund ab und sah mich prüfend an.
    »Alles in Ordnung, Luzie?«
    »Ja. Klar. Nur müde. Ich hab die letzten Nächte kaum geschlafen, weil …« Ich räusperte mich, damit meine Stimme belegt klang. So als würden die Tränen schon hinter meinen Augen lauern. »… weil hier alles anders ist. Anders als zu Hause. So fremd.« Ich merkte plötzlich, dass das gar keine Lüge war. Alles war anders. Und nichts vertraut. Ja, in diesem Moment fühlte es sich so an, als sei ich auf einem Lichtjahre entfernten Planeten gelandet, wo völlig neue Gesetze herrschten, die ich nicht kannte. Früher hatte nie jemand über mich gelacht. Es hatte auch kein Geist in meinem Bett geschlafen. Niemals hätte ich, Luzie Morgenroth, freiwillig ein Zimmer mit Elena geteilt. Die Jungs und ich hätten Parkour gemacht, anstatt Flaschendrehen zu spielen. Und niemand hätte über mich gelästert.
    »Dann leg dich ins Bett und ruh dich aus, Luzie. Ist schon okay«, sagte Herr Rübsam mit einem väterlichen Lächeln. »Warst ja heute Nacht brav. Im Gegensatz zu den anderen. Die dürfen jetzt Geschirr spülen.«
    Und haben einen neuen Grund, mich zu hassen, dachte ich verbittert, als ich mich die Stufen hinauf zu meinem Zimmer schleppte. Drinnen wartete eine Überraschung auf mich. Elena kniete inmitten ihrer Klamotten auf dem Boden und packte ihren Koffer.
    »Was ist los?«, fragte ich verdattert.
    »Ich fahre nach Hause«, erläuterte sie knapp, ohne mich anzusehen.
    »Warum?« Gähnend kletterte ich auf mein Bett und schaute ihr von oben dabei zu, wie sie ohne Sinn und Verstand Kosmetiksachen in die Seitenfächer des Koffers quetschte. Niemals würde sie den zukriegen.
    »Krank.« Weil ich selbst oft log, erkannte ich es genau, wenn andere logen. Und sie log.
    »Stimmt nicht«, erwiderte ich gleichgültig.
    »Ja, gut, stimmt nicht!«, brach es aus Elena heraus und sie blitzte mich wütend an. »Mann, Luzie, weißt du, wie das hier für mich ist? Ich bin zwei Jahre älter als

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