Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
unterhalten, sollte der Sozialstaat darüber nachdenken, wie er dazu beitragen kann, dass die Verwahrlosungstendenzen abnehmen, dass Problemviertel sich zurückbilden, dass Parallelgesellschaften nicht entstehen. In manchen Bereichen ist der Sozialstaat zu einer Zwangsbeglückungsagentur geworden, etwa bei der Jugend- und Sozialhilfe. Dass er hier auch paternalistisch agiert, ist bis zu einem gewissen Grad unvermeidbar. Wenn wir die Prioritäten darauf verlagern, dass nicht Konsum an erster Stelle steht, sondern soziale Integration, funktionierende Familien, Gesundheit, dann muss dem zunächst eine Debatte über die neuen Prioritäten vorangestellt werden.
Wie neue Perspektiven alte Denkmuster aufbrechen können, zeigt der Vorschlag der Bremer Glücksforscherin Hilke Brockmann, eine Mütterquote in Wirtschaft und Politik einzuführen. Denn tatsächlich kommen im Beruf zuerst die Männer, dann Frauen ohne Kinder und zuletzt Frauen mit Kindern. Bei der Suche nach einem Job und in der Karriere ist der Hauptnachteil nicht das Frausein, sondern das Muttersein. Ist die Frau schon Mutter, fehlt ihr oft Berufserfahrung, und sie droht wegen der Kinder öfter auszufallen. Ist sie noch keine Mutter, drohen Vakanzen, Ausfälle, Lohnfortzahlungen. Ob die Mütterquote der richtige Weg ist, will ich hier gar nicht vertiefen. Entscheidend ist der Wechsel der Priorität.
Wie ändern wir das Arbeitsrecht und die Stadtplanung, um den Familien endlich mehr Zeit für sich zu geben? Doch wie stellt man das an, ohne dass der Staat dem »unmündigen« Bürger irgendwelche »glückssteigernden« Verhaltensweisen aufzwingt? Zwar greifen der Staat und die Unternehmen schon heute regelmäßig in das Konsum- und Freizeitverhalten der Bürger ein und es würden hier Reglementierungen wegfallen, aber anderswo würden neue hinzukommen. Hier werden Staat und Markt übergreifend Lösungen finden müssen.
1 Tichy 2013, S. 5.
2 Vorwerk-Familienstudie 2012.
3 Studie der Basler Prognos AG für das Bundesfamilienministerium, zitiert in: Der Spiegel vom 04.02.2013, S. 27.
4 Dass sich die Ökonomisierung wunderbar mit feministischer Emanzipationsrhetorik verkaufen lässt, erwähnt Roland Tichy: »Erst wenn jede Frau an der Aldi-Kasse für ihre Sozialbeiträge schuftet und Steuern dafür bezahlt, dass andere Frauen ihre Kinder erziehen – erst dann ist die endgültige Befreiung der Frau geschafft.« Tichy 2013, S. 5.
5 Der berühmte Ökonom Kenneth Arrow war der Meinung, dass sich eine allen Bürgern zur Verfügung stehende medizinische Versorgung marktmäßig nicht vernünftig organisieren lasse. Krankheit sei ein für den Einzelnen weder kalkulierbares noch vorhersehbares Risiko, das unter den Menschen ungleich verteilt sei. Der Ausgleich »schlechter« durch »gute« Risiken sei auf einem durch freien Wettbewerb gekennzeichneten Versicherungsmarkt faktisch nicht möglich. Dort würden die Versicherungen alles daransetzen, die guten Risiken mit günstigen Prämien zu ködern und die schlechten Risiken durch hohe Prämien abzuschrecken. Es käme nicht zu einem Risikoausgleich, sondern zu einer Ausgrenzung schlechter Risiken. Unter wohlfahrtsökonomischen Gesichtspunkten sei daher die soziale der privaten Krankenversicherung überlegen (vgl. Reiners 2006, S. 13). Deutschland hat ein Mischsystem.
6 Dagegen bedarf es beispielsweise keiner gesetzlichen Autohaftpflichtversicherung.
7 OECD Better Life Index 2010 und Eurobarometer 2011.
8 Die untere Hälfte der Einkommensbezieher dürfte natürlich ein Mehr an Zufriedenheit durch die Transfers erfahren als die obere.
9 Wüllenweber 2012, S. 78.
10 Wittchen 2012, S. 9–11.
11 Wittchen 2013, S. 71.
12 Armutsbericht 2013, S. 120.
13 Rieger und Leibfried kommen in ihrer Untersuchung über die Verschiedenheit der westlichen und asiatischen Sozialstaaten zu dem Urteil, dass es »regelmäßig religiöse Konzepte sind, die der Sozialpolitik Blaupausen liefern und auf diese Weise Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gestalten«. Da sich Marktwirtschaft und Wohlfahrtsstaatlichkeit auf die »gleichen religiösen Wurzeln«, nämlich christliche, berufen, ist auch der Glaubenskrieg zwischen beiden so intensiv (Rieger und Leibfried 2004, S. 50–51).
14 Marktliberalen und den Anhängern des Wohlfahrtsstaats »gemeinsam ist das planmäßige Streben nach einer anderen Gesellschaft, in der es keine Armut mehr gibt«, so der Soziologe Stephan Leibfried. Beide sind von ihrem Heilsweg felsenfest überzeugt und
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