Vier Arten, die Liebe zu vergessen
steckte sie auch mit seiner Begeisterung für
Alkohol an, für den sie sich bisher nicht groà erwärmt hatten, und sie
experimentierten nachts mit Whisky (den Thomas in der Bar klaute), Wein (den
Michael im Keller abstaubte) und Bier (das Timo in Massen als Proviant für alle
Fälle unter seinem Bett gehortet hatte).
Für die Silvesternacht hatten sich die drei etwas Besonderes
ausgedacht: groÃe Saftgläser, zu gleichen Teilen gefüllt mit Martini, Whisky,
Bier und WeiÃwein. Sie nannten ihre Kreation den »Mena nein« und wollten damit
in die Cocktailgeschichte eingehen. Aber nach wenigen Schlucken war klar, dass
dieser Erfindung keine Zukunft beschieden sein würde. In kürzester Zeit war
ihnen so schlecht geworden, dass sie nur noch vor sich hin glotzten. Sie
stellten sich abwechselnd an das kleine Fenster, um frische Luft zu bekommen
und nebenbei die Dachziegel zu zählen â die Wette auf die richtige Anzahl kam
aber nie zu ihrem Ende, denn über etwa zwölf Ziegel kam keiner der Zählenden
mehr hinaus, und nach einer halben Stunde war der nähere Umkreis der
Fensterbank auch noch von ihrem Kantinenessen bedeckt und deshalb unübersichtlich
geworden.
Sein Glas hatte keiner von ihnen ganz ausgetrunken, auch der geübte
Finne nicht, und als ihre Mägen immer weiter rebellierten, stolperten Michael
und Thomas nach drauÃen, wo sie sich unter die von der Mitternachtsmesse
heimkehrenden Gäste mischten, um den Rest ihres Mageninhalts dem Schnee zu
übergeben.
Die Ãbelkeit hatte es nicht vermocht, ihnen die Laune zu verderben,
deshalb grüÃten sie die angeekelt auseinanderstiebenden Hotelgäste freundlich
und wünschten ihnen höflich ein gutes neues Jahr â immer unterbrochen von
neuerlichen Eruptionen ihrer Mägen.
Am nächsten Morgen war zwar die Hinterlassenschaft ihres
unzivilisierten Benehmens von frisch gefallenem Schnee bedeckt, aber die
Nachricht davon bis zur Direktion gelangt. Thomas wurde an die Spülmaschine
versetzt, denn sein Anblick sollte keinem Gast mehr zugemutet werden. Dass sie
nicht rausgeschmissen wurden, verdankten sie Emmi, die bei ihrer Schwester zu
Besuch war und sich für eine zweite Chance starkgemacht hatte.
Nachdem Michael morgens mühsam die Kotzfladen vor dem Fenster mit
etlichen Krügen heiÃen Wassers in Richtung Dachrinne gespült hatte, lieà er
sich aufs Bett fallen und blieb einfach liegen. Ihm war so elend, er konnte den
Kater nicht von Traurigkeit unterscheiden, und aus dieser Traurigkeit wurde
nach und nach ein immer grelleres und schmerzhafteres Heimweh. Es wurde
schlimmer und schlimmer, er wusste sich nicht mehr anders zu helfen: Er ging
zum Münztelefon und wählte die Nummer seines Vaters.
»Kannst du bitte hier anrufen und sagen, dass ich unbedingt
heimkommen muss?«
»Wieso?«, fragte sein Vater. »Was ist los?«
»Ich glaub, ich bin krank und haltâs nicht mehr aus. Ich muss hier
weg.«
»Und was soll ich sagen, weshalb du unbedingt nach Hause kommen
sollst?«
»Weià nicht. Vielleicht dass jemand gestorben ist oder so.«
»Gut, ich ruf an.«
Michael war seinem Vater so dankbar, dass er jetzt tatsächlich so
etwas wie Sehnsucht nach ihm empfand, und gleichzeitig war er schon halb
getröstet. Er kam hier raus. Musste nur noch warten, bis sein Vater alles
geregelt hatte.
Er schlief ein, ohne sich noch groà Gedanken darüber zu machen, dass
er Thomas hängen lieÃ, wenn er einfach abhaute, aber es ging nicht anders. Er
konnte nicht bleiben. Es drückte ihm die Augen aus dem Gesicht, und seine Brust
würde platzen, wenn er nicht bald hier wegkäme.
Irgendwann stand Thomas vor ihm â er hatte ihn wach gerüttelt und
schien den Kater viel besser zu verkraften als Michael. »Du sollst zur
Buchleitner kommen«, sagte er, »aber dusch dich vorher. So kannst du nicht
gehen.«
Michael beeilte sich, putzte die Zähne, duschte, zog saubere Kleider
an und rannte dann fast zum Haus der Besitzer, das in einiger Entfernung vom
Hotel stand und in dem Emmi Buchleitner zu Gast war.
Eine Haushälterin brachte ihn nach oben und führte ihn durch einen
langen Flur zu den Räumen, die Emmi bewohnte. In einem beeindruckenden Salon
mit Büchern und Kamin, riesigem Sofa und zwei Ohrensesseln empfing sie ihn und
bot ihm einen der Sessel an.
»Dein Vater hat mich angerufen«, sagte sie.
»Ja, ich
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