Vier Frauen und ein Mord
überhaupt keinen Bauch.«
»Ich sprach von dem, was man hineintut.«
»Sie meinen meine Küche«, sagte Maureen. »Ich habe nie geglaubt, dass Essen sehr wichtig ist.«
Poirot stöhnte.
»Oder die Kleidung«, fuhr Maureen versonnen fort. »Oder der Beruf. Ich glaube nicht, dass solche Dinge wichtig sind. Nicht wirklich wichtig.«
Einen Augenblick lang schwieg sie. Ihre Augen waren vom Alkohol ein wenig verschleiert. Sie sah aus, als blickte sie in eine weite Ferne.
»Neulich hat eine Frau an die Zeitung geschrieben«, sagte sie unvermittelt. »Einen wirklich dummen Brief. Fragte, was das beste wäre: Sein Kind von jemandem adoptieren zu lassen, der ihm jeden Vorteil bieten könnte – und sie meinte eine gute Erziehung und Kleidung und eine komfortable Umgebung –, oder ob man das Kind behalten sollte, obwohl man ihm gar nichts bieten kann. Ich meine, das ist dumm – wirklich dumm. Wenn man einem Kind nur genug zu essen geben kann, das ist alles, worauf es ankommt.«
Sie blickte in ihr leeres Glas, als wäre es eine Kristallkugel.
»Ich muss das wissen«, fuhr sie fort. »Ich war ein adoptiertes Kind. Meine Mutter hat mich weggegeben, und ich hatte jeden Vorteil, wie man so sagt. Aber es tut immer weh, immer… immer… zu wissen, dass man nicht wirklich erwünscht war, dass die Mutter einen weggehen lassen konnte.«
»Vielleicht war es ein Opfer zu Ihren Gunsten«, versuchte Poirot sie zu trösten.
Ihre hellen Augen begegneten den seinen.
»Ich glaube nicht, dass es das wirklich gibt. So nennt man es nur vor sich selbst. Aber wesentlich ist doch, dass man ohne diesen Menschen auskommen kann… Und das tut weh. Ich würde meine Kinder nicht hergeben, nicht für alle Vorteile der Welt.«
»Ich glaube, da haben Sie Recht«, sagte Mrs Oliver.
»Ich bin auch Ihrer Meinung«, stimmte Poirot zu.
»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte Maureen fröhlich. »Worüber streiten wir dann?«
Robin, der zu ihnen auf die Terrasse getreten war, fragte: »Ja, worüber streiten Sie?«
»Adoption«, erläuterte Maureen. »Ich bin nicht gern adoptiert. Und Sie?«
»Nun, es ist viel besser, als eine Waise zu sein, meinen Sie nicht auch, meine Liebe? Ich denke, wir sollten jetzt gehen, nicht wahr, Ariadne?«
Die Gäste brachen alle gleichzeitig auf, nur Dr. Rendell hatte schon früher fort müssen. Sie gingen gemeinsam den Hügel hinab und plauderten vergnügt.
Als sie ans Tor von Laburnums kamen, bestand Robin darauf, dass alle noch mit hineinkamen.
»Nur, um Madre von der Gesellschaft zu erzählen. So langweilig für die arme Liebe, dass sie nicht mitkonnte, weil ihr Bein ihr wieder Probleme machte. Aber sie kann es nicht leiden, wenn sie gar nichts von der Sache hat.«
Vergnügt eilten alle hinein, und Mrs Upward schien sich zu freuen, sie zu sehen.
»Wer war noch dort?«, fragte sie. »Die Wetherbys?«
»Nein, Mrs Wetherby fühlte sich nicht wohl genug, und die trübselige Henderson wollte nicht ohne sie kommen.«
»Sie ist wirklich ein armer Kerl, nicht wahr?«, meinte Shelagh Rendell.
»Ich halte sie nahezu für pathologisch. Sie nicht?«, meinte Robin.
»Das ist ihre Mutter«, erwiderte Maureen. »Manche Mütter fressen ihre Jungen beinahe auf.«
Sie errötete plötzlich, als sie Mrs Upwards spöttischem Blick begegnete.
»Fresse ich dich auf, Robin?«, fragte Mrs Upward.
»Madre! Natürlich nicht!«
Um ihre Verwirrung zu verbergen, stürzte Maureen sich in eine Erzählung über ihre Erfahrungen mit der Zucht irischer Wolfshunde. Das Gespräch wurde fachlich.
Mrs Upward sagte mit Nachdruck:
»Die Erbmasse ist das entscheidende – bei Menschen wie bei Hunden.«
Shelagh Rendell sagte leise:
»Glauben Sie nicht, dass auch die Umgebung eine Rolle spielt?«
Mrs Upward schüttelte den Kopf.
»Nein, meine Liebe. Das glaube ich nicht. Die Umgebung kann einem einen Firnis geben – mehr nicht. Was wirklich zählt, ist angeboren.«
Hercule Poirots Augen ruhten neugierig auf dem erröteten Gesicht Shelagh Rendells. Sie sagte mit scheinbar unangebrachter Leidenschaft:
»Aber das ist grausam… ungerecht.«
Mrs Upward gab zu: »Das Leben ist ungerecht.«
Johnnie Summerhayes mischte sich ein:
»Ich bin der gleichen Meinung wie Mrs Upward. Nur die Abstammung zählt. Daran habe ich immer geglaubt.«
Mrs Oliver sagte in fragendem Ton: »Sie meinem, dass Dinge weitergegeben werden? Bis ins dritte und vierte Geschlecht…«
Auf einmal schienen alle ein wenig verlegen, vielleicht wegen des Ernstes, der
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