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Viereinhalb Wochen

Viereinhalb Wochen

Titel: Viereinhalb Wochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Bohg
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des Gehirns sowie des Rückenmarks nach außen getreten in eine Cele. Wir haben uns entschieden, die Schwangerschaft nicht abzubrechen. Wir müssen jetzt jeden Tag damit rechnen, dass Julius sich verabschiedet, per Fehlgeburt oder nach der Geburt.
    Wir brauchen ab sofort Eure Hilfe in folgender Hinsicht – das mag jetzt sehr direkt oder schroff klingen, aber so ist es nun mal – bitte versteht uns nicht falsch:
    Keine (noch so gut gemeinten) Ratschläge
Keine »Ich hab da bei Google was gelesen«-Infos
Kein Beurteilen der Lage und unserer Entscheidung – es ist unsere Entscheidung, unsere Familie, unser Leben
Keine Phrasen wie »Na, Ihr seid ja noch jung«, »Es hat wohl so sollen sein«, »Ich kann Euch verstehen«, »Ihr seid so tapfer«, »Ihr tut mir so leid«.
Kein Beschwichtigenwollen, um Schmerz zu lindern
Kein Aufbürden Eurer Trauer auf uns – wir haben selber unsagbaren Schmerz und Trauer – wir sind weder in der Lage, noch ist es unsere Aufgabe, Euch zu trösten
    Stattdessen tut uns Folgendes gut:
    Behandelt uns normal, schenkt uns Alltag, lenkt uns ab
Nehmt uns einfach in den Arm, ohne Worte
Wenn WIR darüber reden wollen, dann lassen wir es Euch wissen – ansonsten sprecht es bitte nicht an. Wir brauchen jedes bisschen Kraft für die vor uns liegenden Monate
Denkt an uns, betet für uns
    Wir sind jetzt Ende achtzehnte SSW , Julius strampelt fleißig. Wir wollen jeden Tag, den wir mit unserem ersten Sohn haben dürfen, genießen und das Beste daraus machen. Und wir wollen Euch natürlich auch daran teilhaben lassen, so Ihr das wollt. Er wird immer Teil unserer kleinen Familie sein, und wir wollen ihm seine Zeit mit uns so schön wie möglich gestalten. Habt Dank für Euer Verständnis, ruft uns bitte erst an, wenn Ihr Euch von diesem Schock ein bisschen erholt habt und Euch in der Lage fühlt, unsere Wünsche zu respektieren. Dafür danken wir Euch sehr!
     
    Eure Constanze & Tibor
    Danach konnten wir nichts anderes mehr tun, als ins Bett zu fallen. Am nächsten Morgen waren bereits die ersten Antworten per E-Mail eingetroffen – die meisten voller Zustimmung. Susel rief sofort an: Noch am Vorabend, erzählte sie, sei sie mit ihrem Laptop zu ihrem Mann auf die Couch, vor den Fernseher, und habe ihm die E-Mail vorgelesen. Weinend seien sie beide dagesessen, gleichzeitig froh über unsere Entscheidung und todtraurig über das Schicksal unseres Sohnes.
    Den ganzen Tag über trafen die Nachrichten ein: Manche schrieben, dass sie uns bewundern, andere wünschten uns viel Kraft. Eine Freundin schrieb, sie wisse nicht, was sie sagen solle, außer dass es ihr leid tut. Eine andere berichtete, dass sie eben in Italien sei und da einige Probleme habe – »doch die sind alle nichts verglichen mit den Problemen von euch«. Wir bekamen sogar Geschenke – eine Flatrate für einen Internet-Filmverleih, die wir in den nächsten Wochen intensiv nutzten, um uns alle möglichen Komödien auszuleihen und herzhaft zu lachen. Ich wollte, dass Julius seine Mama und seinen Papa mindestens genauso viel lachen hörte, wie er uns in den letzten viereinhalb Wochen hatte weinen hören.
    Meine Freundin Suse aus Frankfurt hatte ein Päckchen der besonderen Art geschickt: eine Flasche Massageöl für schwangere Bäuche zusammen mit einem Brief – nicht an mich, sondern an Julius. Ich konnte vor Tränen kaum lesen:
    Lieber Julius,
    wir freuen uns sehr, dass es Dich gibt. Auch wenn wir Dich nicht kennenlernen dürfen, bist Du bereits jetzt ein Teil unserer Familie, und wir haben Dich sehr gern. Wie gern hätten wir Dich durch Dein Leben begleitet.
    Offensichtlich besteht ein so großer Bedarf an Engeln, dass Du woanders mehr gebraucht wirst, auch wenn das kaum vorstellbar ist.
    Das beigefügte Öl hatte ich eigentlich für Deine Mama besorgt, gleich nachdem ich von Dir erfahren hatte.
    Ich habe mich entschieden, es Dir zu schicken mit der Bitte an Deine Mama, Dich jeden Tag damit zu streicheln.
    Denn Streicheln ist Liebe – und das möchten wir Dir gern schicken.
    Ich bin selbst Mama von zwei kleinen Jungs und weiß daher, wie besonders gerade kleine Jungs sind.
    Deine Mama ist einer der wichtigsten Menschen meines Lebens, deshalb tröste sie und gib ihr Kraft an jedem Tag, den Du bei ihr sein kannst.
    Wir haben Dich sehr lieb, Du hast einen festen Platz in unseren Herzen.
    Sag Deiner Mama bitte, wenn sie möchte, dass ich sie anrufe oder besuchen kommen soll, dass sie mir ein kleines Zeichen geben soll.
    Sei fest

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