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Viereinhalb Wochen

Viereinhalb Wochen

Titel: Viereinhalb Wochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Bohg
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dieser Satz durch die Schicht aus Wundern und Staunen, die sich um Julius gelegt hatte.
    Unser Kind ist tot.
    Wir sandten noch aus dem Krankenhaus Nachrichten an unsere Eltern und Freunde. Mit jeder SMS , der wir ein Bild von Julius und uns beiden beifügten, wurde uns klarer, was passiert war.
    Unser Kind ist tot.
    Wir bekamen wunderbare Antworten auf unsere E-Mails. Susel schrieb:
    Lieber Tibor und liebes Stanzerl und lieber Julius,
    ich kann mich heut an gar nichts erfreuen. Ich denke permanent an EUCH drei. Ich bete so sehr, dass Gott Euren Schmerz und die Trauer heilen kann. Ich habe auch die ganze Nacht dafür gebetet, dass Gott Euch Zeit mit Julius schenkt.
    Ich hoffe so sehr, dass dies gelungen ist. Natürlich habt Ihr das schönste Baby der Welt. Julius ist ja auch ein einzigartiges kleines Menschenkind.
    Ich werde Julius immer in meinem Herzen tragen, und eines Tages werden wir uns alle wiedersehen. Das wird ein Fest!
    Watson und Erika aus Hof schrieben:
    Liebe Tibor und Constanze
    Als wir euer Bild sahen, waren wir berührt. Gott gab euch ein wirklich schönes Baby, und jetzt ist euer wunderbarer Sohn wieder mit Ihm. »Der Tod seiner Heiligen ist wertgehalten vor dem Herrn«, heißt es in der Bibel, und Er hat nun seinen kleinen Heiligen im Himmel bei sich.
    Wenn ich daran denke, wie ihr euch verhalten habt während dieser Schwangerschaft, kann ich nur sagen, wie stolz ich auf euch beide bin. Ich glaube, die Entscheidungen, die ihr getroffen habt, waren die richtigen, und Gottes Segen für das, was ihr getan habt, ist noch gar nicht offenbart. Ich wünschte nur, dass meine Kirche den Glauben und das Vertrauen in Gott hätte, das ihr gezeigt habt.
    Möge Gott euch trösten während dieser Zeit, und möget ihr Frieden finden bei Ihm.
    Viel Liebe
    Watson und Erika
    Der Tag verging wie im Flug, für uns gab es kein Zeitgefühl. Wir merkten nur, wie sich das Wetter änderte: Heiß war es zuerst, dann schwül, dann zuckten Blitze durch die plötzliche Dämmerung, dann rumpelte es, dann öffnete der Himmel seine Schleusen, bis sich schließlich alles wieder beruhigte.
    Ab vier Uhr nachmittags rangen wir mit uns, Julius abzugeben. Wir sahen, dass sich sein Körper schon zu verändern begann, dass er dunkler wurde.
    »Schatz, sollen wir?«
    Das sagte einer von uns. Vom anderen kam nichts. Dann begann wieder der andere:
    »Wollen wir?«
    Dann kam wieder nichts.
    »Nein, ich kann mein Baby noch nicht hergeben«, sagte ich, setzte mich wieder aufs Bett, von dem ich bereits aufgestanden war, und weinte wieder. Es war ein anderes Weinen als vor der Geburt: bis dahin hatte ich immer zwischen Hochgefühl und Verzweiflung geschwankt, zwischen Ungewissheit und Todesahnung, aber es hatte immer noch Hoffnung gegeben, immer noch Leben in meinem Bauch. Ich war schwanger! Doch nun war der Bauch leer, es gab keinen Grund mehr für Hochgefühle. Und jetzt?
    Gegen sechs Uhr abends war der Punkt da, an dem wir beide merkten, dass es nun so weit war.
    Wir wollten unser Kind aber nicht einfach der Schwester aushändigen, sondern wir fuhren mit ihr zusammen im Fahrstuhl hoch, Julius in meinen Armen, zurück in den Kreißsaal, und übergaben es einer Hebamme. Es war schrecklich, Julius aus der Hand geben zu müssen.
    »Bitte, seien Sie behutsam«, sagte ich der Hebamme noch, was völlig überflüssig war, weil sie ohnehin ganz vorsichtig damit umging.
    In diesem Moment war der Traum vorbei. Als wir Julius abgegeben hatten, als sich die Glastür zum Kreißsaal hinter uns schloss und wir mit leeren Armen dastanden, war alles zu Ende.
    In diesem Moment brach für uns die Welt zusammen, in der wir fast vierundzwanzig Stunden gelebt hatten. In der Hoffnung auf unser Kind, im Kampf um unser Kind, mit unserem Kind im Arm, mit unserem toten Kind im Bett.
    Das alles war nun vorbei. Nichts war mehr da, nur eine unfassbare Leere um uns herum. Meine leeren Arme brannten. Ich wollte schreien. Doch es kam nichts. Alles in mir war still.

[home]
    Leere
    I m Taxi nach Hause starrten wir teilnahmslos nach draußen. Dort war alles wie am Tag zuvor, als wir ins Krankenhaus gekommen waren: die heiße Stadt, der Sommerabend, die vielen Menschen auf den Straßen. Im Auto war dagegen alles anders: keine Fragen, keine bangen Gefühle, keine Spannung, keine Eile, kein Ziel. Wir sahen so fertig aus, so verheult, übernächtigt, müde, verzweifelt, dass der Fahrer sicherheitshalber kein Wort an uns richtete. Wir waren sprachlos vor Unglück.
    Zu Hause war alles

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