Villa des Schweigens
der Hand hatte. »Sie können hiervon noch ein paar Kopien machen und dann ab ins Eiscafé!«
Ich sah sie erstaunt an.
»Das machen junge Leute doch im Sommer, oder nicht? Oder sind Sie etwa auch dauernd auf Diät?«
»Auch?«
Frau Wagner zupfte an ihrem Rock herum, der zugegebenermaßen ein bisschen spannte. »Als ich so altwar wie Sie, war mein Spitzname Fädchen, können Sie sich das vorstellen?«
Nein, das konnte ich nicht. Ich kicherte und hielt mir gleich erschrocken die Hand auf den Mund, aber sie lachte nur.
»Hier.« Sie reichte mir die Blätter.
Ich schmunzelte immer noch, als ich das erste Blatt auf den Kopierer legte. Gelangweilt überflog ich das zweite Blatt. Und stutzte. Da war ein Name. Ein mir bekannter Name. War das Zufall?
Das Dokument in meiner Hand war vom Vorsitzenden Zivilrichter der dritten Strafkammer beim Landgericht unterschrieben. Mit einem Krakel, man konnte es kaum entziffern. Doch darunter stand der Name noch einmal gedruckt: Behnisch.
Wie Julius Behnisch? Frau Wagners Reaktion auf diesen Namen fiel mir ein.
Wie viel verdiente wohl so ein Richter? Genug für zwei Villen?
»Sie müssen das Blatt schon reinlegen, wenn sie es kopieren wollen.«
Herr Seibel stand hinter mir und sah mich belustigt an.
Mein Mund öffnete sich wie von selbst.
»Richter Behnisch«, sagte ich. »Kennen Sie den?«
»Ja, natürlich.«
»Wie ist der so? Ich meine, ist der streng, so als Richter?« Ich wusste selbst nicht richtig, worauf ich hinauswollte.
»Na, ein guter Märchenonkel ist er nicht gerade. Das liegt in der Natur seines Berufes.« Herr Seibel lachte. »Man kann schon sagen, dass er nicht besonders zimperlich ist. Seine Strafen könnten oft milder ausfallen.«
In Gedanken sah ich einen grimmigen alten Mann vor mir, eine Mischung aus meinem ehemaligen Mathelehrer und einem südamerikanischen Diktator. Herr Seibel redete indessen weiter.
»Schon komisch, wie manche in dem Job eine Art Jekyll-und-Hyde-Persönlichkeit entwickeln. Bei seinen Familienangelegenheiten soll er nicht halb so hart durchgreifen.«
»Wie meinen Sie das?« Ich war plötzlich hochkonzentriert, kopierte aber weiter.
Herr Seibel wand sich ein bisschen, offenbar wurde ihm erst jetzt bewusst, mit wem er sprach.
»Sie wissen ja, dass nichts, was Sie in diesen Wänden hören, nach draußen dringen darf?«
Ich nickte.
»Nun, ich sage nur so viel: Richter Behnisch hat einen Sohn, der bei der Polizei kein Unbekannter ist. Und das nicht wegen seines Vaters. Ich weiß zwar nichts Genaues, aber eins ist gewiss: Der Knabe hat irgendein Problem und sein Erzeuger versucht, ihn mit Geld unter Kontrolle zu halten. Vergebliche Liebesmüh, wenn Sie mich fragen.«
Ich fragte ihn nicht. Ich war wie erstarrt. Währenddessen spuckte das Gerät die letzte Kopie aus.
»Aber mich fragt ja keiner«, schloss Herr Seibel. »Zu meiner Zeit ...« Er winkte ab. »Was machen Sie eigentlich noch hier?«
»Oh, ich bin schon weg!« Ich raffte meine Tasche vom Tisch und ließ den verdutzten Herrn Seibel stehen.
Ich hätte in diesem Moment meine linke Hand darauf verwettet, dass ich diesen missratenen Sohn kannte.
9. Kapitel
Die Villa war wie ausgestorben. Nachdem ich meine Tasche aufs Bett geworfen und die Tür zur Terrasse geöffnet hatte, sah ich Lauren im Garten sitzen. Sie blätterte gelangweilt in einer Zeitschrift. Als sie mich sah, leuchteten ihre Augen auf.
»Nina! Endlich leistet mir jemand Gesellschaft.«
»Wie bist du denn ins Haus gekommen?«, fragte ich verblüfft.
Sie zog erstaunt die makellos gezupften Augenbrauen hoch. »Na, mit einem Schlüssel natürlich. Stefan hat ihn mir gegeben. Ich warte auf ihn, er müsste bald von seiner Schicht kommen.«
»Schicht?«
»Er lernt doch Krankenpfleger, wusstest du das nicht? Heute hatte er Frühschicht. Im Moment ist er in der Psychiatrie.« Sie wedelte leicht mit ihrer Hand vor der Stirn herum, offenbar um anzudeuten, dass Stefan es mit Verrückten zu tun hatte.
»Ach«, sagte ich. Aus irgendeinem Grund überraschte mich diese Neuigkeit. Ich hatte schon halb erwartet, dass Stefan der uneheliche Sohn eines reichen Filmstars war. Mit seinem Model-Look und dem Waschbrettbauch.
»Na, wenigstens bist du jetzt da«, sagte Lauren fröhlich. Sie lebte sichtlich auf. »Setz dich doch mit her.« Ich hatte zwar halb mit dem Gedanken gespielt, mir Frau Wagners Vorschlag zu Herzen zu nehmen und mir ein Eis zu kaufen, aber hier bot sich eine vorzügliche Gelegenheit zu Nachforschungen. Ich
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