Villa des Schweigens
überlegte nicht lange.
»Klar, gern.« Mit einem Ächzen wollte ich mich neben sie auf die Bank fallen lassen, aber sie zupfte mich am Ärmel.
»Kann ich mal deinen kleinen Gecko sehen?«
»Klar.« Ich ging zurück in mein Zimmer und brachte Billys Glaskasten raus.
»Süß!«, quiekte Lauren. Sie strich vorsichtig mit dem Zeigefinger über Billys schuppige Haut. »Kannst du ihn mal rauslassen?«
Ich zögerte. »Ich weiß nicht so recht. In dem hohen Gras ist er schnell verschwunden.« Billys Knopfaugen schienen mich zu beobachten. Sehnte er sich auch nach der Freiheit?
Lauren seufzte. »Du hast es gut. Ich durfte mir nie ein Tier halten. Meine Mutter ist so ziemlich gegen alles allergisch.«
Eine Weile lang saßen wir schweigend nebeneinander.
»Wie ist denn dein Job so?«, unterbrach Lauren die Stille. »Anstrengend?«
»Nein, gar nicht«, sagte ich. Ich hatte Lauren anscheinend falsch eingeschätzt, sie für hübsch, oberflächlichund – wenn ich ehrlich war – ein bisschen hohl gehalten. Aber sie war die Erste, die sich nach meinem Befinden erkundigte, seit ich hier eingezogen war.
»Hast du es mit Verbrechern zu tun?«, fragte sie neugierig und hielt Billy einen Grashalm hin, den er ignorierte.
Ich musste lachen. »Nein, sind alles ganz normale Leute. Die haben nur Probleme mit ...« Die Schweigepflichtserklärung fiel mir ein und ich verstummte erschrocken.
Lauren seufzte. »Wenigstens hast du einen Job. Ich wollte im Sommer im Café Melange arbeiten, aber meine Mutter hat mich nicht gelassen. Die behandelt mich wie ein Baby.« Ihr Gesicht bekam einen trotzigen Ausdruck. »Noch ein Jahr, dann ziehe ich sowieso aus.«
»Mit Stefan zusammen?«
Laurens große blaue Augen schienen noch größer zu werden. »Natürlich. Was denn sonst? Stefan ist die Liebe meines Lebens!«
Ich fand das ein bisschen theatralisch, sagte aber nichts. Sie war so freundlich und irgendwie süß.
»Wie lange seid ihr denn schon zusammen?«, fragte ich.
»Oh, seit letztem Juli. Ich glaube, dass er vorher ziemlich einsam war ohne mich.«
»Ach ja?« Ich konnte nur mühsam ein Lächeln unterdrücken.Stefan kam mir nicht gerade vor wie ein Kind von Traurigkeit.
»Echt! Ganz alleine in dem großen Haus. Du hättest mal sein Zimmer sehen sollen, als ich ihn kennengelernt habe. Da sah es aus wie nach einer Bombenexplosion. Er war total glücklich, als ich das erste Mal für ihn aufgeräumt habe.«
»Stefan hat hier alleine gewohnt?« Ich war völlig perplex. Anstelle von Antworten tauchten immer neue Fragen auf. Und Lauren räumte für ihn auf? Bügelte sie etwa auch seine Pflegeruniform?
»Na gut, fast alleine. Claire war auch hier. Die durfte schon von zu Hause ausziehen, bevor sie das Abi hatte.« Lauren klang verschnupft.
»Warte mal, du meinst, Claire und Stefan haben hier zusammen gewohnt?« Wie um alles in der Welt hatten die beiden Streithähne es miteinander ausgehalten? Und diese Jette? Und wo war eigentlich Julius? »Wo waren denn Julius und Jette zu dieser Zeit?«
»Ich weiß nicht genau. Jette war da noch nicht hier. Und Julius ... Ich glaube, der war verreist. Vielleicht wollte er die Villa nur vermieten, um Geld zu verdienen.«
»Aber dann ist er doch eingezogen?«
»Ja, das stimmt.« Lauren wirkte leicht konfus. »Ach, egal.«
»Findest du es nicht seltsam, dass Julius eine Villa hat?«
»Ist doch schön.« Lauren sah mich unschuldig an. »Ich wünschte, meine Eltern würden mir eine Villa schenken. Aber mein Vater ist kein Richter.«
»Kein Richter«, wiederholte ich schrill. Ich hatte recht! Ich hatte recht!
»Na ja, Julius' Vater ist doch am Gericht fast berühmt. Oder so.« Das Thema schien sie nur am Rande zu interessieren. Aber ich wollte unbedingt alles wissen. So bereitwillig wie Lauren hatte mir hier noch niemand Rede und Antwort gestanden.
»Sein Vater ist also Richter?«, vergewisserte ich mich.
»Ja klar. Weißt du das denn nicht?« Ich konnte sehen, wie es in ihr arbeitete. »Das müsstest du doch wissen. Du jobbst doch gerade bei einem Anwalt, oder?«
»Schweigepflichtserklärung.« Ich fing an, dieses Wort zu lieben.
»Ach so.«
»Da muss Julius seinem Vater ja ganz schön dankbar sein«, versuchte ich das Gespräch in neue Bahnen zu lenken.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, die können sich nicht leiden. Julius soll wohl Jura studieren und will nicht.«
Es machte Sinn. Es machte alles auf einmal Sinn. Und meine detektivischen Fähigkeiten kamen mir schlagartig albern
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