VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
immerzu?«, wollte die Pontifex wissen.
»Es soll Tage geben, an denen die Sonne scheint, aber sie sind sehr selten. Ich habe selbst nur zwei erlebt«, antwortete Mechin.
»Das macht es nur interessanter. Ich bin neugierig.«
Der alte Arzt schaute seine Nachbarin forschend an. »Interessant«, wiederholte er, »ist möglicherweise nicht der richtige Ausdruck. Fremdartig, seltsam, faszinierend, ja ... Was Sie sagten, würde jedoch bedeuten, dass Sie bereit wären, sich mit dem zu befassen, was Sie vorfinden werden. Daran habe ich meine Zweifel. Diplomatische Gespräche hin, diplomatische Gespräche her.«
Die Päpstin hob belustigt die Brauen.
»Ich meine«, fuhr Mechin hastig fort, »wenn man Sie in dieses mehr diplomatische als wissenschaftliche Gremium berufen hat, dann doch weniger Ihres Interesses wegen als wegen, nun ja, politischer Rücksichten ...«
»Ich bin der Quote wegen dabei, meinen Sie«, sagte die Päpstin und nickte. »Das stimmt auch, wenigstens zum Teil. Immerhin ist das Papst geistiges Oberhaupt von dreizehn Milliarden Menschen und de facto Herrscher von drei bewohnten Welten, oder vier, wenn Sie Sanctuarium dazuzählen, was ich nicht tun würde. Aber ich bin auch – und vor allem – deswegen hier, weil ich alle Hebel in Bewegung gesetzt habe, um dabei sein zu können. Dabei musste ich einigen Leuten auf Vatikan heftig auf die Zehen und andere metaphorische Körperteile treten.« Sie schaute Mechin, plötzlich ernst, von der Seite an. »Sie können sich vermutlich nicht vorstellen, was die Entdeckung eines neuen Planeten für das Papst bedeutet, zumal dann, wenn es sich um einen bereits besiedelten Planeten handelt.«
»Da haben Sie recht«, gab Mechin zu. »Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.«
»Eine neue Welt stellt eine neue Herausforderung dar«, sagte die Päpstin und blickte aus dem Bullauge, »und das nicht nur für die Organisation der Kirche. Bedenken Sie, wir brauchen für jede neue Welt einen Nuntius, der als Botschafter fungiert, und wir brauchen Grundstücke für den Bau von Kirchen und Klöstern, wir brauchen Novizen, die unsere Klöster bevölkern, wir brauchen Priester, die all die Messen zum Lob des Herrn lesen, wir brauchen interne Kommunikation zwischen Vatikan und der neuen Welt, und wir brauchen eine Menge Geld, um all das zu finanzieren. Vor allem, und das ist das Wichtigste, brauchen wir ein fundamentales Verständnis jeder neuen Welt, sonst laufen wir Gefahr, unsere Aufgabe zu verfehlen.« Die letzten Worte sprach sie gegen das zentimeterdicke Glas, hinter dem sie jetzt die Armorica sah, eine gigantische metallene Kugel. Die Entfernung ließ den Weltenkreuzer klein und dreckig aussehen.
»Fundamentales Verständnis? Ach ja«, Mechin tat verständnisvoll, »erst müssen Sie Ihre Religion für jede neue Welt zurechtschneidern, passend machen.«
»Darum geht es überhaupt nicht!« Die Päpstin fuhr herum und blitzte ihren Nachbarn wütend an. »Es kann niemals zur Debatte stehen, die Kirche und ihre Botschaft ‚passend‘ zu machen, wie Sie sich ausdrücken, das geht nicht, das kann nicht gehen, unsere Botschaft und unsere Aufgabe ist überall und immer dieselbe. Ich könnte wahnsinnig werden, wenn ich solche Sprüche höre ...«
»... weil Sie diese Sorte Sprüche schon auf Vatikan hören müssen, oder?«, fragte Mechin. Er schickte der Päpstin als Friedensangebot sein strahlendstes Grinsen, und nach einer kurzen Sekunde der Verwirrung nahm die Frau die unausgesprochene Entschuldigung an und schaute wieder zur Armorica hinüber.
»Es ist so ähnlich wie mit diesem Ding da«, sagte sie. »Drinnen gibt es einen wenn auch künstlichen Himmel, Freibäder, Schulen, Kirchen, Straßen, Sportplätze, Wälder, Gärten, Häuser – man tut so, als wäre es die Welt. Man lebt wie auf einem Planeten, ja, wie auf der Erde, wenn es dort noch Leben gibt, wie wir es kennen. Man fährt zur Arbeit ein paar tausend Meter nach unten oder oben, das ist der ganze Unterschied. Man ist erst erschrocken, wenn man im Shuttle sitzt und den Weltenkreuzer im Bullauge sieht. Da erst sieht man, dass die Welt nichts als ein Gerät aus Blech ist. Ein im Durchmesser neun Kilometer großes, annähernd kugelförmiges Ungetüm, vollgestopft mit Technik. Nichts als die weiterentwickelte Variante von Noahs Arche. Und all die Herrlichkeit der unbesiegbaren Weltenkreuzer hat sich in warme Luft aufgelöst, als man erfuhr, dass die Vilm van der Oosterbrijk klaglos und spurlos abstürzen konnte.
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