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VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)

VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)

Titel: VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Kruschel
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sah es aus, als würden kompliziert gegliederte Kapitelle in die Decke des Saales reichen. Ein gotischer Dom auf dem Regenplaneten. Der Weg führte abwärts, und doch reckten sich die Säulen in immer größere Höhe empor. Die Kapitelle waren kaum zu erkennen.
    Den Oniskiern, die stumm dem Pfad folgten, den Marja und Will ihnen vorangingen, fiel erst nach einer Weile auf, dass sie etwas vermissten, woran sich insbesondere Franka nie hatte gewöhnen können: Es regnete nicht. Es nieselte nicht einmal. Der Boden unter ihren Füßen war nicht aufgeweicht und schlammig, sondern fest, wenn auch nicht ausgetrocknet. Zwischen immer mehr schlanken und kaum enden wollenden Pfeilern hindurch führte die Strecke stetig abwärts, und den Oniskiern war klar, dass kein Saal der Welt in keinem Palast des Universums derart riesig sein konnte. Für eine solche Halle, in der man minutenlang geradeaus gehen konnte, ohne auch nur in die Nähe einer Wand zu kommen, gab es einfach keinen Platz auf diesem Planeten. Und man hätte einen derartigen Monumentalbau weithin sehen müssen, zumal bei dem Flugverkehr, der rund um Vilm Village herrschte. Die Pfeiler wurden mächtiger und standen weiter auseinander, und ihre Gestalt veränderte sich, je weiter die Wanderer in diesen unheimlichen Wald vordrangen. Die Stützen wirkten irgendwie knorrig und kraftvoll, und ihre schuppige Oberfläche sah unzerstörbar aus. Hin und wieder löste sich ein Tropfen Wasser irgendwo, und sein Fall zwischen den ehrfurchtgebietenden Stützen dauerte lange Zeit, ehe er eine von den Säulen streifte und einen langen Strich dunkler Feuchtigkeit hinterließ. Weiter ging es, einen schier endlosen Hang hinunter. Diesem Hang entsprossen in immer größeren Abständen immer gewaltigere Pfeiler, nicht bloß zwanzig oder vierzig Zentimeter durchmessend wie am Anfang des Weges, sondern mit Radien von einigen Metern. Die auseinanderstrebenden Kapitelle an den oberen Enden der Säulen waren nicht erkennbar, waren einfach zu weit entfernt. Das Dach dieses Gebäudes lag nur eine Etage direkt unter Gott. Das war eine Kathedrale, wie sie das bewohnte Weltall nicht kannte, und die Oniskier waren wie vor den Kopf geschlagen, während sie inmitten dieser monströsen Pilaster entlangwanderten, zwischen denen man bequem ein mittleres Raumschiff hätte parken können. Hatten nicht vor fünfzehn Minuten die Säulen nur wenige Meter voneinander entfernt gestanden? Jetzt brauchte man etliche Schritte von einer der Stützen zur nächsten. Ein fremdes Licht stahl sich zwischen die monumentalen Pfeiler, deren Abmessungen man kaum schätzen konnte. Das Ende dieses merkwürdigen Ausfluges kündigte sich an, und die Wanderer umrundeten eine letzte Säule, was fast eine Minute dauerte.
    Dann standen sie mit offenen Mündern in einem Raum, gegen den die Summe aller Basiliken, die je von Menschenhand erbaut worden waren, winzig wirkte. Etliche hundert Meter weiter voraus strebte eine weitere titanische Säule dem unsichtbaren Dach entgegen, diese allerdings unterschied sich frappierend von allen anderen. Sie war offenkundig künstlich – den Oniskiern wurde klar, dass all die Säulen, an denen sie vorübergewandert waren, in Wahrheit Stämme gewesen waren oder Wurzeln oder die Füße, wie man es auch nennen wollte, auf denen diese größte aller denkbaren Pflanzen ruhte. Die Mittelsäule war keine Vegetation, sie war aus Stahl und Glas und Licht; sie leuchtete freundlich in dem Dunkel, das zwischen den Pfahlwurzeln herrschte und den Wanderern kaum aufgefallen war. Jetzt beschirmten sie ihre Augen und bewunderten diesen Turm. Die Oniskier gafften, als wären sie zu Salzsäulen der Verblüffung erstarrt. Insbesondere der Halbkarnese schaute verzückt nach oben, als genieße er das für ihn wahrscheinlich seltene Gefühl, sich klein und verloren vorzukommen. Will-J und Marja-J waren längst am Fuße der Säule angekommen, lagen still wie zwei Fellteppiche und beobachteten aufmerksam die Reaktionen der Oniskier.
    Will räusperte sich. »Einen Namen dafür haben wir nicht«, sagte er. Natürlich bekam er keinerlei Antwort. Die Oniskier waren ins Schauen versunken; der mächtige Stab aus Licht hatte Fenster und Bullaugen, hinter denen gelegentlich Bewegung zu sehen war, und ein kaum wahrnehmbares Vibrieren ging von ihm aus, ein leises Summen. Wo der Turm auf den steinharten Boden traf, verbreiterte sich sein Schaft und strebte auseinander, wie die Wurzel eines irdischen Baumes. Diese Wurzeln waren

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