VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
Sogar wir können nichts schaffen, ohne dabei zu zerstören.«
»Schöne Rede«, sagte Martino sarkastisch.
»Begreife es endlich, Martino«, sagte Franka und schlug ihm fester als nur freundschaftlich auf die Schulter, »diese Leute sind nicht die Primitiven, für die du sie gehalten hast.«
Konstantin klatschte laut in die Hände, und der Klang des Geräuschs kam auf seltsame Weise zwischen den Pfeilern der stromerzeugenden Kathedrale abhanden. »Nun haben wir genug geredet«, sagte er, »und ehe wir von unseren Gesprächen überhaupt nichts mehr verstehen, schlage ich vor, sich das Innere des wie auch immer entstandenen Bauwerks anzuschauen. Danach steht es jedem von uns frei, in die dem Anlass angemessene Verzweiflung zu verfallen.«
Franka beschloss, dass sie genau das tun würden, und der widerstrebende Martino wurde mit auf die Besichtigungstour in den Turm geschleppt, in dem zahllose verwirrende Installationen bewundert werden mussten und man bloße Hände an die Wandung jenes dutzendmeterdicken Rohres legen konnte, in dessen Innern in jeder Sekunde Tausende Kubikmeter Wasser hinabstürzten. Etliche Wendeltreppen wurden erstiegen und aus schwindelnder Höhe ehrfürchtige Blicke in die schummrige Weite des pflanzlichen Domes geworfen, Maschinen wurden besichtigt und die Vilmer, die sie bedienten und kontrollierten. Bei dieser Gelegenheit ging den Oniskiern endlich vollständig auf, was es mit den angeblichen Hunden in Wirklichkeit auf sich hatte. Konstantin, der sich als Erster wieder fing, äußerte spöttisch sein Erstaunen, wie derart kompliziert lebenden Leuten die oniskäische Art der Ehe fremd vorkommen könne. Marja fing an, zu drängen und auf die verstrichene Zeit hinzuweisen, und man stieg in einen Aufzug, der Konstantin dazu zwang, seine Glatze vor der niedrigen Decke in Sicherheit zu bringen. Das nahm er gern in Kauf. Schließlich war er wieder einmal mit den anderen in einem engen Raum zusammengequetscht und konnte Will und Marja darüber ausfragen, wie sie sich im Schweber gefühlt hatten, als er ihre Eingesichter geknuddelt hatte.
Marja erklärte es ihm, nicht ohne rot zu werden und zu stottern, was Franka zum Lachen brachte. Martino versuchte krampfhaft, den Vilmern möglichst fernzubleiben, seit er von ihrer wahren Natur erfahren hatte, als sei ihre Art zu leben nicht nur unnatürlich, sondern ansteckend. Im Schweber zurück nach Vilm Village nahm Will den Oniskiern heilige Versprechen ab, mindestens für eine Woche Stillschweigen über das zu bewahren, was sie gesehen hatten. Die Aufregung der Goldenen Bruderschaft würde auch ohne voreilige Enthüllungen groß genug sein, wenn sie plötzlich auf dem von ihrem Palast produzierten Strom sitzen blieb – und von einem Tag auf den anderen eine wichtige Machtbasis auf dem Planeten verlor. Martino ergriff nur ein einziges Mal das Wort, als er sich erkundigte, wie viel Zeit bis zum Start des Shuttles zur Arcadia übrig geblieben war.
Genau diesem Shuttle, das in den Wolken des Regenplaneten verschwand, schauten Marja und Will zwei Stunden später mit acht Augen nach, als sie im Fast-in-den-Wolken saßen. Der Regen war heftig, und das enorme Ding dort unten würde eine Menge zu tun bekommen.
»Möglicherweise haben die Oniskier doch recht«, sagte Marja, und Marja-J legte seinen Kopf auf Wills Beine, »mit dem Sakralbau, meine ich.«
Will schaute überrascht drein. »Verstehe ich nicht.«
»Wenn wir den Regendrachen je einen Tempel hätten bauen wollen«, sagte Marja versonnen, »dann hätte es dieses Kraftwerk sein können.«
Will lächelte. »Ich glaube, wir haben endlich einen Namen dafür.«
10. Die Regendrachen der Tiefe
»Um aller Himmel willen«, sagte Will, »muss das wirklich sein? Reicht ein Versuch nicht aus?«
»Natürlich nicht«, sagte Sdevan. Sdevan-A stand stramm, und Sdevan-J funkelte Will wütend an; Gefühle verbergen konnte sie noch nie, dachte Will.
»Du kennst ihn«, sagte Tonja. »Er kann nicht verlieren. Nicht einmal dann, wenn es außer ihm niemanden gibt, der die Sache so betrachtet. Ist es nicht so, Sdevan?« Statt einer Antwort kam nur ein Knurren. »Siehst du«, wandte sich Tonja wieder an den Vilm-Administrator, »er gibt es zu.«
»Gar nichts gibt er zu«, stellte Will fest. Er schüttelte den Kopf und schaute mit vier Augen aus dem Fenster; da war nichts als die mäßig belebte Hauptstraße vom Vilm Village, auf die heftiger Regen herabschlug. Die Wolken hingen sehr tief und waren selbst für die
Weitere Kostenlose Bücher