Viola - Das Tagebuch der Sklavin
fieberhaft, welchen Fehler sie begangen oder welches Verbot sie überschritten hatte. Ihr fiel nur ein einziges ein, aber genau dieses konnte Jesper nicht wissen. Was war es dann?
Er stand vor ihr, schaute auf sie herab. «Du enttäuschst mich, Sklavin. Ich hatte Gehorsam erwartet. Aber du hintergehst mich.»
Als er innehielt, nichts weiter hinzufügte, wagte sie eine Erwiderung. «Nein, Gebieter, das tue ich nicht. Wieso sollte ich das tun?»
Er seufzte laut. «Oh doch, du belügst mich. Was soll ich nur mit dir machen? Vielleicht war ich bisher zu gnädig mit dir? Vielleicht sollte ich dir mal ordentlich den Hintern versohlen, nicht zur Erregung, sondern so richtig zur Bestrafung?» Er drehte sich um, ging zum Fenster, stützte sich auf dem Fensterbrett auf und sah hinaus. «Oder vielleicht sollte ich …?» Er sprach seinen Satz nicht zu Ende und ließ sie im Ungewissen, welche Ideen er noch hatte.
Daphne hob ein wenig den Kopf, um ihn zu betrachten. Die Androhung einer tatsächlichen Bestrafung hatte sie getroffen, aber auch einen Funken entzündet. Schauspielerte er? Ja, natürlich. Das Ganze war ja schließlich nur ein Spiel. Die ganze Woche über hatten sie so getan, als ob nichts gewesen wäre. Ihr Alltag war wie immer verlaufen. Aber nun – die Szene wirkte so echt. Würde er sie wirklich härter züchtigen? Niemals.
«Bitte Gebieter, sagt mir, was ich falsch gemacht habe, und bestraft mich dafür angemessen. Ich habe Euch nicht belogen. Nennt mir meine Fehler und gebt mir bitte eine Chance, mich zu bessern!» Ihre Stimme war fest und sicher. Sie meinte das, was sie sagte ehrlich.
«Also gut. Du sollst ein Recht darauf erhalten, dich zu bessern.» Er machte eine Denkpause. «Du hast mich belogen, da bin ich mir ziemlich sicher. Leider kann ich es dir nicht beweisen. Aber du selbst wirst es mir beweisen!»
Daphne schaute verwirrt auf. Sie verstand nicht, was er meinte. Als sich ihre Blicke trafen und ein ernster Ausdruck in seinen Augen lag, senkte sie schnell den Kopf und er gab ein warnendes Brummen von sich. Er trat an seinen Schreibtisch, holte einen Gegenstand und streckte ihn ihr entgegen.
«Hier, dein Tagebuch. Es steht mir nicht zu, darin herumzuschnüffeln. Außerdem hast du es abgeschlossen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass du zu deinen letzten Erlebnissen einen Eintrag gemacht hast. Ich will, dass du ihn aufschlägst und mir vorliest.»
«Was?» Daphne sprang auf, riss ihm ihr Tagebuch aus der Hand. «Das geht dich überhaupt nichts an, Jesper. Das gehört nicht zu unserem Spiel! Viola ist mein Eigentum und nur sie kennt meine geheimsten Gedanken. Wie kannst du von mir verlangen …», fauchte sie ihn unkontrolliert an.
Jesper sah das anders und er hatte seine Gründe. Daphne hatte nie ein Geheimnis aus ihrem Tagebuch gemacht, das sie Viola nannte, trotzdem hatte sie es an wechselnden Orten aufbewahrt, mal in ihrer Nachttischschublade, dann unter ihrer Unterwäsche, zwischen den Handtüchern oder zuletzt hinter einigen Romanen im Bücherregal. Aber sie hatte keine Ahnung, dass er eifersüchtig auf dieses kleine Buch war, das Gedanken von ihr kannte, die ihm als ihrem engsten Vertrauten, wie er sich inzwischen überzeugt hatte, verborgen blieben.
Daphnes Mimik war ein Spiegelbild ihrer Empörung. Was er von ihr erwartete, war unerhört und überschritt seine Befugnisse in diesem Spiel. Er sah ihr an, in welchem Zwiespalt sie sich befand.
Jesper herrschte sie etwas härter an, als er eigentlich wollte. «Du vergisst dich, Sklavin! Laut Vertrag stehen dir keine Rechte zu. Widersprich mir also nicht, sondern hol den Schlüssel, schlag auf und lies. Es gibt keine Geheimnisse zwischen uns! Dies ist mehr als nur ein Spiel, das war dir doch hoffentlich von Anfang an aufgrund meiner Regeln und Anweisungen klar – du solltest deine Rolle in jeder Minute ernst nehmen! Achte also darauf, was du sagst und wie du mich anredest, und gehorche.»
Er las die Konflikte an ihrem intensiven Mienenspiel ab. Das Codewort, bitte Daphne, benutze es nicht. Nicht abbrechen, nicht jetzt!, flehte er stumm.
Daphne hatte sich wieder hingekniet. Sie hielt das Buch umklammert, als hätte sie Angst, er könne es ihr wegnehmen. «Jesper, bitte, verlange alles, nur das nicht von mir. Ich habe keine echten Geheimnisse vor dir, glaube mir, aber das sind meine intimsten Gedanken, das ist ein Stück von mir. Wenn ich meine Gedanken aufschreibe, wird mir
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