Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat
nicht ausbreitete. Das Haus war praktisch niedergebrannt, und die wenigen noch stehenden Teile weiterbrennen zu lassen wurde als sicherste Lösung angesehen, auch wenn sich Leichen darin befanden.
Virgil und Jenkins standen bei den Feuerwehrleuten, nahe genug, um die Wärme der Flammen zu spüren. Lee, die sich zu ihnen gesellte, teilte Virgil mit: »Wir fahren. Deinen Computerspezialisten bräuchten wir heute noch. Hattest du schon Gelegenheit …?«
»Die Leute sind unterwegs; sie haben einen iMac genau wie den, den du aus dem Haus geholt hast«, antwortete Virgil. »Wenn die Festplatte noch intakt ist, sollten wir in drei oder vier Stunden in der Lage sein, uns die Daten darauf anzuschauen.«
»Ich wünschte, ich hätte ihn nicht aus dem Fenster werfen müssen, aber ich musste die Hände frei haben für die Waffe. Egal …« Ihr Blick wanderte links an Virgil vorbei. »Was zum Teufel ist das?«
In der Ferne flammte ein riesiges golden-weißes Licht auf.
»Noch ein Haus«, erklärte Virgil.
Die Feuerwehrleute sahen ebenfalls hinüber. Einer von ihnen sagte: »Fahren wir mal lieber hin … Vielleicht ist es bloß eine Scheune.« Sie luden ihre Ausrüstung ein. Einer würde bleiben, die anderen drei wollten aufbrechen.
»Ich hab ein ganz schlechtes Gefühl«, gestand Virgil. »Lass uns nachsehen, welches Haus es ist.«
Virgil und Jenkins fuhren voran, Lee und Schickel folgten. Ganz an der Spitze befand sich der Wagen der Feuerwehr. Das Feuer war südöstlich der Rouse-Farm ausgebrochen. Nach etwa eineinhalb Kilometern erkannten sie, dass es sich um zwei Brände an einem Haus und einem Schuppen handelte.
Einen knappen Kilometer weiter rief Lee Coakley an, um Virgil zu informieren: »Es ist die Farm der Beckers, wieder eine Familie aus der Welt des Geistes.«
Der Feuerwehrwagen bewegte sich die kleine Anhöhe zu dem brennenden Haus hinauf. Der Rest der Karawane formierte sich dahinter zu einem Halbkreis, doch wie bei den Rouses war auch hier nichts mehr zu retten: Wohnhaus und Schuppen standen in Flammen, das Dach des Schuppens war eingesunken, und das Innere des Hauses fiel in sich zusammen.
Virgil und Jenkins gesellten sich zu Lee, und Virgil fragte sie: »Was hältst du davon?«
»Ich weiß es nicht. Wie ein Zufall sieht es jedenfalls nicht aus.«
Virgil schnupperte. »Riecht ihr das?«
»Was?«
»Da drin ist jemand – ich rieche verbranntes Fleisch.«
Lee Coakley wurde blass. »Begehen die jetzt alle Selbstmord? Soll das ein zweites Waco werden?«
»Ich glaube nicht …«
Ein Polizist kam keuchend angerannt. »Noch ein Brand. Ist von der anderen Seite des Hauses aus zu sehen.«
Er führte sie hin: weiterer Feuerschein weit im Süden.
Ein Feuerwehrmann trat zu ihnen und fragte: »Riechen Sie das verbrannte Fleisch?«
Sie nickten.
»Im Schuppen steht ein Truck«, erklärte der Feuerwehrmann. »Sieht ganz so aus, als hätten sie einen Scheiterhaufen drum herum aufgeschichtet und Benzin und Öl darübergegossen. Da drin ist es so heiß, dass glatt der Wagen schmilzt.«
»Sie zerstören Beweismaterial«, rief Virgil. »Von der Leiche hier werden wir nicht mehr finden als ein paar Zähne und Knochen … Und wenn der Wagen schmilzt, sind auch die Einschusslöcher nicht mehr zu erkennen …«
»Aber warum?«, wollte Lee wissen.
»Weil man sie dann nicht verurteilen kann. Die Beweise reichen nicht mal mehr für ein Versicherungsverfahren«, antwortete Virgil.
»Oh nein«, sagte Lee. »Wo sind Beckers Frau und Kinder? Drinnen oder draußen?«
»Die sind bestimmt bei Freunden untergekrochen«, mutmaßte Virgil. »Ich wette, dass wir weitere Tote finden, aber keine Verletzten. Manche der Männer werden einfach verschwunden sein, sich in Luft aufgelöst haben, und sie werden uns weismachen wollen, dass sie ihre Frauen verlassen haben. Das sind die Verletzten oder die Toten in diesen Häusern … Es würde mich nicht wundern, wenn sie behaupten, dass wir schuld sind.«
Vier Häuser und die dazugehörigen Trucks brannten. Ob sich daran noch erkennbare Einschusslöcher finden ließen, würde sich erst im Tageslicht feststellen lassen, wenn die Feuer erloschen wären.
Virgil, Lee und Jenkins kehrten um zwei Uhr morgens ins Polizeirevier zurück, wo sie ein Chaos aus diskutierenden Männern und Frauen und jammernden, schreienden Kindern vorfanden.
Eine Frau, die Lee Coakley zur Tür des Gerichtsgebäudes hereinkommen sah, kreischte: »Teufel, Teufel, Teufel …« Andere Frauen fielen ein.
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