Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat
Weg zu Einstadts Haus kannte, stieg bei Virgil ein.
Virgil wartete auf der Straße, bis die anderen Polizisten bereit waren, und fuhr dann aus dem Ort hinaus zur I-90.
»Davon werde ich meinen Enkeln erzählen können«, bemerkte Schickel. »So was hat’s hier noch nie gegeben.« Er blickte sich zu den Streifenwagen und Trucks hinter ihnen um. »Ein richtiges Aufgebot.«
Virgil musste an den Mann denken, dem er auf der Farm der Rouses in den Rücken geschossen hatte. Er hatte schon einmal einen Mann umgebracht und war in mehrere Schießereien verwickelt gewesen. Doch das jetzt war anders: Diesmal bedrückte ihn weniger die Tatsache, dass er jemanden getötet hatte, als der Umstand, dass er es ganz automatisch und ohne nachzudenken getan hatte.
Schickel hatte eine Frage gestellt.
Virgil schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, ich bin nicht bei der Sache.«
»Ich auch nicht«, sagte Schickel. »Wir sind schon zu lange auf den Beinen. Wollen Sie sofort reingehen, mit allen? Vielleicht liegen sie an der Auffahrt auf der Lauer.«
»Ich glaube eigentlich nicht, dass sie es nach dem, was bei Rouse passiert ist, mit uns aufnehmen wollen.«
»Ich hab das nicht so richtig mitbekommen. Lee saß mit dem Rouse-Mädchen in der Badewanne …?«
Virgil erzählte ihm alles, auch dass er und Jenkins das Haus mit ihren M16 unter Beschuss genommen hatten und er sich unmittelbar nach der Schießerei high gefühlt hatte, in der Nacht jedoch eher niedergeschlagen.
»Ihnen ist nichts anderes übrig geblieben, Virgil«, sagte Schickel. »Es hätte Lee oder das Mädchen erwischen können. Und der Typ, den Sie erschossen haben, der hätte auf der Flucht bestimmt einen von uns kaltgemacht.« Kurzes Schweigen. »Zum Thema high sein nach der Schießerei: Manchmal frage ich mich, ob die Leute hier den Krieg nicht einfach lieben. Mein Vater war im Zweiten Weltkrieg, hat sich mit siebzehn freiwillig gemeldet. Er hat gern davon erzählt, wie schlimm es im Krieg war, aber ich hatte bei ihm und seinen Kumpels immer den Verdacht, dass das für sie die schönste Zeit ihres Lebens war. Bei Veteranentreffen haben sie sich endlos darüber unterhalten, und wenn sie gestorben sind, haben sie eine Ehrenwache bekommen.«
»Heißt noch lange nicht, dass es ihnen tatsächlich gefallen hat«, wandte Virgil ein. »Schließlich war der Krieg eine große, wichtige Sache. Mein Vater redet auch ständig über Vietnam, gefallen hat es ihm aber nicht.«
»Wenn Sie mal viel Zeit haben, sollten Sie über den Unterschied zwischen Mögen und Immerzu-drüber-Reden nachdenken. Sie könnten zu dem Schluss kommen, dass der gar nicht so groß ist … Mein Patenonkel war im Krieg in einem U-Boot im Pazifik. Der hat nie davon erzählt. Wenn jemand davon angefangen hat, ist er gegangen. Er hat Gespräche darüber nicht ertragen und den Krieg gehasst.«
Virgil konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Wollen Sie damit sagen, dass ich genetisch bedingt gern töte?«
»So ähnlich«, antwortete Schickel.
»Hören Sie auf, Shit zu rauchen, Mann.«
»Klar. Kriegt man gelbe Zähne von.«
Sie fuhren mit Blaulicht die Interstate entlang, eine lange Kette von Autos, verbunden über Scheinwerferlichter, nahmen eine Ausfahrt rechts, geradewegs nach Norden, dann nach Westen, wieder nach Norden und noch einmal nach Westen.
Schließlich sagte Schickel: »Da drüben links, das ist es.«
Er funkte die anderen Autos an, die wie das von Virgil von Einstadts Haus aus deutlich zu sehen sein würden.
»Was meinen Sie?«, fragte Schickel, nachdem er den Funkspruch beendet hatte.
»Ich kann nicht viel erkennen«, antwortete Virgil. »Im Erdgeschoss brennt Licht.«
»Könnte voller Leute sein.«
»Ich seh aber keine Trucks.«
Als er das sagte, leuchteten in der Nähe des Hauses Scheinwerfer auf und verschwanden wieder. Auf dem Hof neben dem Gebäude standen keine Fahrzeuge.
»Scheiße«, sagte Virgil und trat aufs Gaspedal. Die hart gefrorenen Furchen im Schnee waren so uneben, dass sie in Bewegung für einen Schützen ein schwieriges Ziel abgeben würden. Als sie die Anhöhe mit dem Haus erreichten, tauchten vor ihnen die Rücklichter eines Trucks auf.
»Sie fahren querfeldein«, sagte Schickel, nahm erneut das Funkgerät zur Hand und schickte einige der Streifenwagen auf Parallelstraßen, um den Flüchtenden den Weg abzuschneiden.
Auf dem Hof und vor der Scheune konnte Virgil keine Spuren im Schnee erkennen. Vor ihnen ragte ein Bretterzaun auf, hinter dem sich das
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