Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat
Lee ließ sich nicht beeindrucken.
Die Eltern wurden auf die Zellen verteilt, während man die Kinder in den beiden Gerichtssälen im ersten Stock des Gebäudes unterbrachte, unter der Aufsicht von Mitarbeitern der Kreisjugendämter in Warren und Jackson County.
Schickel, der vor Virgil und Lee eingetroffen war, gesellte sich zu ihnen. »Wir haben vierzehn Familien, einunddreißig Erwachsene und zweiundvierzig Kinder und Teenager, und keinen Platz. Wir müssen sie in Gruppen einteilen.«
»Wo ist Kristy?«
»Wir konnten sie nicht länger im Gefängnis behalten und auch nicht zu den anderen Kindern stecken, deswegen ist sie jetzt unten im Kommunikationszentrum. Wir haben ihr Pizza und Pepsi besorgt. Es scheint ihr gut zu gehen«, erklärte Schickel.
»Okay«, sagte Lee. »Versuchen Sie, den Überblick zu behalten. Ich muss los, Jenny Hart aus dem Bett holen.«
»Ich glaube, sie weiß es schon. Larry Cortt hatte davon gehört und mich gefragt, und ich hab es bestätigt. Weil sie eng befreundet sind, ist er zu ihr gefahren«, erzählte Schickel. »Ich dachte, es ist besser, wenn sie’s von einem Freund erfährt und nicht von einem Nachbarn.«
Lee klopfte ihm auf die Schulter. »Danke, Gene. Gut gemacht. Trotzdem muss ich hinfahren.«
»Dunns Ferse ist im Eimer. Er wird ziemlich lange in die Reha müssen, aber die Ärzte meinen, sie können den Fuß retten«, erklärte Schickel.
Ein Polizist mit Schnurrbart teilte Lee mit: »Ich habe vier von den Kindern hergebracht. Sie waren ziemlich durcheinander, und ich hab mit ihnen geredet … In der Welt des Geistes treiben es die älteren Männer nicht nur mit den jungen Mädchen, sondern auch mit den kleinen Jungs. Alle mit allen.«
»Wissen Sie, mit welchen Jungen? Haben Sie ihre Namen?«, fragte Virgil.
»Ja, aber ihre Eltern haben ihnen eingetrichtert, dass Jesus das so will. Es ist zum Kotzen. Eigentlich müsste man diese Leute sofort abknallen.«
»Ich kann Ihre Wut verstehen, Buddy, aber bitte sprechen Sie leiser, ja?«, sagte Lee. Und an Virgil gewandt: »Deswegen hatte Loewe solche Angst – er hatte Sex mit den Jungen.«
»Wahrscheinlich war er selber mal einer von den Jungs«, erwiderte Virgil.
»Ich gehe jetzt«, erklärte Lee.
Im Gefängnis stellte Virgil fest, dass man die Frauen, während die Männer Zellen zugeteilt wurden, mit Handschellen an herbeigeholte Stühle fesselte, weil sonst kein Platz war.
Er nahm die Box mit den Fotos aus dem Haus der Rouses in das Büro von Lee Coakley mit, leerte sie auf den Schreibtisch und fing an, sie zu sortieren. Auf manchen waren nur bekleidete Menschen zu sehen – sie wanderten auf einen Stapel: auf anderen nackte oder in sexuelle Handlungen verwickelte Erwachsene – sie landeten auf einem zweiten Stapel; wieder andere zeigten Erwachsene mit Kindern oder Partnern, die möglicherweise minderjährig waren – sie legte er auf einen dritten Stapel.
Als er fertig war, zählte er 436 Fotos.
Er wandte sich dem dritten Stapel zu und betrachtete die Bilder genauer. Nach zehn Minuten entdeckte er eine Aufnahme, auf der ein nacktes Mädchen von dreizehn oder vierzehn Jahren mit einem nackten Mann vor einem Bett stand. Das Foto schien Rouse heimlich aufgenommen zu haben. Aus dem Hintergrund beobachtete Emmett Einstadt die beiden Nackten.
Das musste reichen. »Hab ich dich, du alter Mistkerl«, sagte Virgil.
Beim Durchgehen der übrigen Bilder entdeckte er ein weiteres mit Einstadt sowie ein Dutzend andere mit Kristy Rouse und unterschiedlichen Männern.
Kristy war, dachte Virgil, wie sie selbst festgestellt hatte, zweifellos psychisch geschädigt. Er fragte sich, wie viel mehr Schaden die Gerichtsverhandlungen und Aussagen anrichten würden und ob es das wert war. Ob die Möglichkeit bestünde, sich auf einige wenige Kinder zu beschränken, die herauszusuchen, die am schlimmsten missbraucht worden waren, nur ihre Aussagen zu verwenden und den anderen den Rummel zu ersparen.
Ob die Medien das zulassen würden?
Als Lee den Raum betrat und die Tür hinter sich schloss, ging Virgil zu ihr, küsste sie und fragte: »Alles in Ordnung?«
»Nein.« Die Hände auf seinen Schultern, gestand sie: »Ich bin ziemlich durch den Wind.«
»Und es wird erst mal nicht besser.« Virgil dirigierte sie zum Schreibtisch und schob ihr die beiden Fotos mit Einstadt hin. »Den hole ich mir.«
»Sofort?«
»Wir haben hier genug Arbeit für zwei Wochen, aber Einstadt ist der Guru der Kirche. Ich schnappe ihn mir, bevor er
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