Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat
halte es nach wie vor für Mord.«
»Meinen Sie, Sie kriegen sie?«, fragte Jacoby.
»Keine Ahnung. Wir haben sie nicht mal festgenommen.«
Jacoby stand auf, gab Virgils Bestellung an die Küche weiter, kam zurück und setzte sich wieder. »Na so was. Dann war sie’s möglicherweise und kommt am Ende ungeschoren davon.«
»Sicher ließe sich das nur beurteilen, wenn eine dritte Person anwesend gewesen wäre«, sagte Virgil. »Und das halte ich für unwahrscheinlich.«
Der Mann hinter ihm hakte nach: »Warum hat sie ihn ermordet?«
»Um etwas zu verbergen«, antwortete Virgil. »Sie sagt, Crocker hatte Angst vor einer DNS-Probe wegen der Gefängnissache während seiner Schicht. Weil er unter Umständen etwas mit dem Tod von Kelly Baker letztes Jahr zu tun hatte. Er und Jake Flood. Sie könnten DNS-Spuren hinterlassen haben.«
»Heilige Scheiße«, rief ein Mann ganz hinten.
Der hinter Jacoby sagte: »Die sind alle aus der Sekte. Spooner, Flood, die Bakers …«
Virgil nickte.
»Sie sollten mehr über die Sekte rausfinden.«
»Die reden nicht gern mit Außenstehenden«, erklärte Virgil.
Als sein Essen kam, ging die allgemeine Diskussion weiter. Am Ende gestand Virgil: »Ohne neue Informationen komme ich nicht weiter.«
»Ungerecht«, sagte jemand.
Virgil zuckte mit den Schultern. »Das ist echte Polizeiarbeit, kein Fernsehkrimi. Nichts und niemand ist perfekt. Ohne weitere Informationen …«
»War schade, wenn Sie den Ort bald wieder verlassen«, bemerkte Jacoby. »Sie sind besser als Fernsehen. Der Umsatz ist um zehn Prozent gestiegen, seit Sie da sind.«
»Gern geschehen, Bill. Ich würde mir nur ein ordentliches Ende für die Sache hier wünschen.«
Die Kellnerin brachte den Blaubeerkuchen.
Virgil nahm die Gabel in die Hand. Als alle verstummten, fragte er: »Was ist?«
Der Mann in der Nische hinter Jacoby fragte fasziniert: »Wollen Sie den wirklich essen?«
Jacoby drehte sich zu ihm um. »Hey!« Und an Virgil gewandt: »Der Kuchen ist super.«
Im Café war man sich einig, dass Virgil eine Möglichkeit finden musste, Kathleen Spooners Geständnis auszuhebeln, weil sie log und Crockers angeblicher Selbstmord Mord war.
»Vielleicht sollten wir einen Lynchmob organisieren«, schlug Jacoby vor und fügte hinzu: »War ein Scherz.«
»Ich bleibe noch ein oder zwei Tage hier, um zu sehen, was passiert«, sagte Virgil. »Der Kuchen … wird mir wirklich fehlen.«
Er verließ das Café mit dem Gefühl, dass zwischen seinen Zähnen klebriges blaues Zeug steckte, blickte die Straße hinunter, entdeckte den Ziegelturm einer Kirche und setzte sich dorthin in Bewegung. Auf dem Schild davor stand: »Good Shepherd Lutheran Church«. Virgil ging die Granitstufen hinauf, öffnete eine der großen Holztüren und trat ein. Eine Frau, die einen Gang zwischen den Sitzbänken fegte, bemerkte ihn und fragte: »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Ist der Pastor da?«
»Im Büro. Haben Sie einen Termin?«
»Nein. Ich bin vom SKA und würde mich gern ein paar Minuten mit ihm unterhalten.«
»Kommen Sie mit. Er liest Zeitung.«
Offenbar hatte er die Zeitung bereits ausgelesen, denn sie lag unter seinen Füßen, während er seine Schuhe putzte. Er war Mitte fünfzig, hatte weiße Locken, blaue Augen und eine Brille mit Goldrand, die auf einer breiten Nase saß, und hörte Softrock im Radio.
Virgil stellte sich vor.
Der Geistliche erhob sich halb, nahm das Putztuch in die Linke und streckte ihm die Rechte hin. »John Baumhauer«, sagte er. »Ich habe schon von Ihnen gehört, Virgil. Unten im Café.«
»Da kann ich am besten denken. Wahrscheinlich hatte Josua recht: Die Gemeinde hat immer noch ihre Holzfäller und Wasserträger.«
Baumhauer grinste. »Nicht vielen fällt auf, dass Baumhauer ein Holzfäller ist. Und Sie kennen Ihr Altes Testament.«
»Die Kirche von meinem Dad ist drüben in Marshall.«
»Flowers? Ihr Vater? Wir sind alte Freunde; er war in der Schule ein Jahr über mir. Wie geht’s Ihrer Mutter? Wow, war diese Frau schön. Ist sie immer noch. Ich hab sie voriges Jahr bei einer Konferenz in St. Paul gesehen …«
So ging das eine Weile hin und her, bis Virgil sagte: »Ich habe ein Problem, John. Wir haben Hinweise in der Mordserie hier und auch zu dem Mord an Kelly Baker vergangenes Jahr, drüben in Iowa.«
»Ich erinnere mich. Der war damals allen ein Rätsel.«
»Ja, aber jetzt … Ich würde Sie bitten, niemandem von unserem Gespräch zu erzählen«, sagte Virgil.
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