Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat
»Jedenfalls vorerst nicht.«
»Natürlich«, versprach Baumhauer mit einem kleinen Lächeln. »Solange es nicht ungesetzlich ist.«
Virgil nickte. »Vielleicht wollen Sie gar nicht mehr mit mir reden, wenn Sie meine Frage hören.«
»Und die wäre?«
»Wohin ich auch blicke: Überall stolpere ich über die Welt des Geistes.«
»Ach, diese Leute …«
»Ja. Wissen Sie irgendetwas, das darauf hinweist, dass etwas mit der Gruppe nicht stimmt?«
»Ich komme mir ein bisschen wie ein Verräter vor«, gestand der Pastor. »Wir Kirchenleute im Ort machen uns tatsächlich Gedanken über sie. Es gab mal ein paar Jahre lang einen katholischen Geistlichen hier, Danny McCoy – jetzt hat er einen wichtigen Posten bei der Erzdiözese. Wir hatten eine Pokerrunde. Er war nicht gut, weil er nicht bluffen konnte. Sie werden nichts aus ihm herausbekommen, denn die Information, dass da was Übles läuft, stammte meines Wissens aus einer Beichte. Er hat es mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut. Keine Ahnung, ob sonst noch jemand Bescheid weiß und er das nach oben weitergegeben hat. Das Beichtgeheimnis ist ihm heilig. Obwohl er das nie offen ausgesprochen hat, glaube ich, dass es um Sex ging.«
»Entspricht das Ihrer eigenen Einschätzung?«
Baumhauer holte tief Luft, wandte kurz den Blick ab und antwortete: »Ja. Genaueres weiß ich auch nicht, aber im Lauf der Jahre habe ich Gerüchte und Andeutungen gehört, dass die Mädchen in dieser Glaubensgemeinschaft sehr jung verheiratet werden.«
»Mmm. Sie haben mit niemandem darüber geredet?«
»In der Gegend würden Sie viele ältere Leute, besonders Kirchgänger, finden, die darüber munkeln. Aber es bleibt alles vage. Als junger Mann habe ich einmal in einem Gebiet in Indiana gearbeitet, wo viele Amish leben. Das sind anständige, solide Leute. In manchem sind sie der Welt des Geistes ähnlich – sie bleiben für sich, unterrichten ihre Kinder zu Hause und heiraten untereinander. Aber wie gesagt: Sie sind anständige Leute. Nun, man sollte keine Glaubensgemeinschaft in Bausch und Bogen verdammen. Solche Gerüchte könnten sich verselbständigen.« Virgil seufzte. »Ja, das stimmt.«
»Doch die Welt des Geistes, das sind keine Amish. Die Amish bleiben für sich, haben aber keine Geheimnisse und sind nicht paranoid. Sie halten sich einfach von der modernen Welt fern. Das beginnt bei der Kleidung und setzt sich in ihren Fahrzeugen und der Einrichtung ihrer Häuser fort. Und sie sehen nicht fern. Die Leute von der Welt des Geistes haben Fernseher, tolle Autos und große Traktoren, und in den Siebzigern sind ihre Jungs als Soldaten nach Vietnam gegangen. Worum es ihnen in ihrer Kirche geht, bleibt geheim.«
»Sie haben keinen konkreten Verdacht?«
»Nein. Sagt Ihnen der Name Birdy Olms etwas?«
»Ja. Soweit ich weiß, ist sie aus der Sekte geflohen.«
»Genau. Ist schon ein paar Jahre her. Angeblich haben die örtlichen Zeugen Jehovas sie dazu gebracht, an ihrer Kirche zu zweifeln. Wenn es Ihnen gelänge, sie aufzuspüren, könnte sie Ihnen vermutlich weiterhelfen.«
Virgil erreichte Lee Coakleys Haus fünf Minuten zu spät. Lee wartete bereits mit Schickel und Dennis Brown in ihrem Wohnzimmer. Brown war ein großer, korpulenter Mann mit rotem Vollmondgesicht und weißen Haaren. Mit seinem traurigen, grüblerischen Blick und seinen permanent geschürzten Lippen hätte er einen miserablen Weihnachtsmann abgegeben. Seine Hand, das stellte Virgil erstaunt fest, als er sie schüttelte, war trocken und schwielig wie die eines Seemanns.
»Okay«, sagte Lee. »Virgil, du hast das Treffen einberufen.«
Virgil zog einen Stuhl heran und nahm gegenüber von Brown und Lee Platz, die auf dem Sofa saßen. Schickel lauschte mit einem Laptop und einem Block auf dem Schoß; der Laptop diente als Unterlage für den Block.
»Wissen alle über Kathleen Spooner und ihre Geschichte Bescheid?«, erkundigte sich Virgil.
Sie nickten, und Schickel sagte: »Sie hat ihn umgebracht. Ich kannte Crocker ziemlich lange und kann mir nicht vorstellen, dass der sich seine Pistole in den Mund gesteckt hätte. Er hätte sich gewunden und Anwälte engagiert, um aus der Sache rauszukommen. Wenn er sich tatsächlich hätte umbringen wollen, dann mit Tabletten.«
»Das kann ich bestätigen«, pflichtete Brown ihm bei.
»Mein Chef müsste jeden Moment wegen der DNS von Kathleen Spooner anrufen«, teilte Virgil ihnen mit. »Damit wollten wir sie unter Druck setzen und versuchen, etwas über
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