Virgil Flowers - 04 - Blutige Saat
einzelnes grellgelbes Haus.
Virgil machte sich nicht allzu viele Gedanken darüber, dass er es mit einem Polizisten zu tun haben würde, denn er glaubte nicht an eine Polizistenbruderschaft und neigte nicht dazu, Kollegen zu mögen oder nicht zu mögen, bevor er sie besser kannte. Für Virgil waren Cops Menschen, die mehr Stress und Versuchungen ausgesetzt waren als andere. Die meisten widerstanden den Versuchungen, aber manchen gelang das nicht. So war das nun mal.
Am Ende konnte er die meisten leiden, weil sie oft aus dem gleichen Umfeld stammten, und außerdem war Virgil ein geselliger Typ. So gesellig, dass er innerhalb weniger Jahre dreimal geheiratet hatte, bis er es schließlich aufgab. Nun würde er sich von Ehen fernhalten, bis er alt genug wäre, zwischen Liebe und Verliebtheit zu unterscheiden. Er hatte das Gefühl, Fortschritte zu machen, doch das hatte er früher auch schon gehabt.
Lee Coakley fiel ihm ein. Der Schalk saß ihr im Nacken, und er wusste, dass sie frisch geschieden war. Außerdem hatte sie eine Waffe. Das gefiel ihm an Frauen, weil es bedeutete, dass er selbst keine tragen musste.
Er kreuzte die I-90 in Fairmont, machte einen Zwischenstopp, um sich kurz die Beine zu vertreten und eine Cola light zu holen, und fuhr weiter nach Westen. Die Sonne stand tief, und der Himmel färbte sich grau.
Homestead war ein alter Farmerort mit etwa vierzehntausend Einwohnern, die Bezirkshauptstadt von Warren County, gegründet in den 1850er Jahren. Warren lag zwischen Hügeln und Seen nördlich der Iowa-Linie, westlich von Martin County und östlich von Jackson. Die meisten Gebäude im Ortszentrum und viele der Wohnhäuser waren in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts errichtet worden. Die Interstate 90 führte nördlich an der kleinen Stadt vorbei, und Virgil reservierte ein Zimmer im Holiday Inn. Danach fuhr er weiter zum Büro von Lee Coakley. Es befand sich in einem Ziegelbau aus den Achtzigern hinter einem Gerichtsgebäude aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. In dem Büro waren Arbeitsplätze für Deputies, ein Kommunikationszentrum und ein Gefängnis.
Lee Coakley erwartete Virgil mit zwei Deputies, vierschrötigen, deutschstämmigen Männern über dreißig mit kräftigem Kinn, einer in Zivilkleidung, der andere in Sheriffuniform.
»Agent Flowers«, stellte Lee Coakley Virgil vor. »Ich habe den Durchsuchungsbefehl. Das sind Gene Schickel und Greg Dunn. Sie begleiten Sie.«
Virgil gab den beiden die Hand und wandte sich an Dunn: »Ich kenne Sie von der Larson-Sache.«
Dunn nickte. »Ganz schönes Chaos damals. Dass Sie hier mitmischen, gefällt mir nicht, das sage ich Ihnen ganz offen.«
»Hab ich mir schon gedacht. Wenn ich dabei bin, ist das wie eine interne Untersuchung. In meiner Zeit als Polizist in St. Paul hab ich mich immer, so gut es ging, von den Beamten ferngehalten, die so was machten. Bestand zwar kein Grund dazu, aber ich verstehe, was Sie meinen.«
»Ich finde, wir sollten unsere Scheiße selber wegschippen.«
Virgil nickte. »Immerhin ist Ihnen Ihr Job sicher, wenn Sie nicht gerade silberne Löffel klauen. Sheriff Coakley hingegen muss wiedergewählt werden. Die politische Dimension des Falls dürfte Ihnen klar sein.«
»Ja. Trotzdem gefällt mir die Sache nicht.«
Virgil sah Schickel an, den Mann in Uniform. »Und Sie? Oder sind Sie eher der starke, schweigsame Typ?«
Schickel bewegte beim Sprechen kaum die Lippen. »Wir müssen Crocker auf den Zahn fühlen. Das würde ich auch tun, wenn niemand sonst es machen wollte.«
»Dann mal los«, sagte Virgil.
Schickel, der bei Virgil im Truck saß, informierte ihn über Crocker, während Dunn mit einem Streifenwagen voranfuhr. Crocker wohnte knapp dreißig Kilometer außerhalb.
»Greg will Ihnen nicht das Leben schwermachen«, sagte Schickel. »Er nimmt nur kein Blatt vor den Mund.«
»Das weiß ich zu schätzen. Larson hat er auch nichts geschenkt.«
Senator Larson hatte in angetrunkenem Zustand ein Stoppzeichen nicht beachtet und auf dem Heimweg von einer Bar einen anderen Wagen gerammt, dessen Fahrer ums Leben gekommen war. Obwohl Virgil bei den Ermittlungen mitgewirkt hatte, war Larson am Ende freigesprochen worden.
»Greg ist ein guter Kerl, aber er kann knallhart sein«, erklärte Schickel. »Auch seiner Frau gegenüber. Er steckt mitten in der Scheidung.«
»Kenne ich irgendwoher«, sagte Virgil. »Und Crocker? Ist der ebenfalls ein guter Kerl? Oder ein schlechter? Glauben Sie, er
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