Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
Doktor Krentler. Der Minister hat mich gebeten, ihnen das erst hier zu erzählen. Aus Sicherheitsgründen. Ich hoffe, sie verstehen das.“
„Worum geht es denn?“ fragte Krentler.
„Im Krankenhaus in Stralsund liegt ein Mädchen mit Lungenentzündung. Laut der Aussage ihrer Eltern hatte sie keinen Kontakt mit Vögeln. Das Haus liegt ungefähr zwei Kilometer Luftlinie von hier, also innerhalb des Beobachtungsgebiets. Tote Vögel wurden dort allerdings nicht gefunden. Das Mädchen ist schwer krank. In einer Schleimhautprobe hat das Robert-Koch-Institut im Schnelltest Viren vom Typ H5N1/Asia nachgewiesen. Der Test muß noch bestätigt werden.“
„Das ist unmöglich.“
Krentler blickte zu Boden und schüttelte den Kopf. Die Bilder von der schreienden Frau drängten sich vor sein inneres Auge. Er schob sie weg.
„Wir haben das Mädchen zum Stützpunkt Peenemünde gebracht. Der Minister denkt, es ist am besten, wenn sie mit ihr sprechen.“
„Was haben sie den Eltern erzählt?“
„Nichts.“
„Nichts?“ Krentler war fassungslos.
„Die Mutter denkt, ihre Kleine schlummert ruhig im Krankenhaus Stralsund. Wenn sie morgen wieder zu Besuch kommt, wird ihr der Arzt erzählen, dass die Kleine wegen Komplikationen in die Spezialabteilung der Charité verlegt werden musste. Sie und Rosen sollen sie dorthin begleiten. Der Hubschrauber ist schon unterwegs.“
„Moment mal“, unterbrach Krentler, „das ist ja allerhand. Was ist mit den Terminen beim Kreistag und beim lokalen Seuchenschutz? Und wie kommen sie überhaupt dazu, mir solche Termine zu diktieren? Wenn es wirklich einen konkreten Verdacht gibt, warum holen sie nicht die Experten vom Robert-Koch-Institut? Oder einen Psychologen, der die Kleine fragt, wo sie sich angesteckt hat? Oder der nachweist, dass die Symptome psychisch bedingt sind?“
Schickelbach ließ den Wutanfall ruhig über sich ergehen.
„Der Minister glaubt, dass sie der richtige Mann dafür sind. Wir müssen herausfinden, wie die Kleine sich angesteckt hat. Sie sind der Experte für Übertragunswege. Sie wissen, wonach sie fragen müssen. Und außerdem haben sie selbst Kinder.“
„Lassen sie meine Kinder bitte aus dem Spiel.“ gab Krentler schroff zurück.
„Ich denke, wir sollten fahren.“ Schickelbach winkte Rosen und ging zurück zum Parkplatz.
„Einen Moment noch.“ rief Krentler ihm nach.
„Was ist ihre Rolle in diesem Spiel?“ fragte er.
„Ich bin nur ein einfacher Mitarbeiter des Ministers.“ antwortete Schickelbach, und stieg über den niedrigen Begrenzungszaun.
15
Thomas hatte sich im ersten Moment vor Schreck beinahe in die Hosen gemacht, als er den leblosen Körper im Halbdunkel entdeckte. In der Zeitung las er manchmal von toten Pennern, die im Suff erfroren. Aber gesehen hatte er noch nie einen. Vorsichtig stupste er ihn mit dem Fuß an.
„He, du, alles klar bei dir?“
Keine Reaktion. Er stupste ein bisschen fester.
„He, du. Lebst du noch?“
Noch ein bisschen fester. Der Körper kippte zur Seite und blieb dann reglos liegen.
„Scheiße. Bist du tot oder was?“
Thomas trat zaghaft gegen den Oberschenkel. Dann kniete er sich hin, um den Puls zu fühlen. Kalle erwachte mit einem heftigen Zucken und Thomas sprang mit einem Schrei zurück.
„Willst du mich verarschen oder was?“
Kalle hörte ihn nicht, sondern kotzte in den Schnee. Sein Kopf dröhnte, sein ganzer Körper wand sich vor Schmerz. Er wußte nicht mehr, wo er war und wie er hierher gekommen war.
Thomas drehte sich angeekelt weg. Säuerlicher Gestank stieg ihm in die Nase. Das war vielleicht eine Scheiße. Wäre er bloß weiter an der Straße entlang gegangen. Aber den konnte er jetzt nicht einfach hier liegen lassen, nicht bei zehn Grad unter null. Oder?
„Ok, Alter, ich bring dich jetzt ins Krankenhaus, wenn du das willst, verstanden?“
Kalle nickte matt. Er hatte sich wieder aufgesetzt und lehnte den Kopf an den Stamm. Thomas half ihm beim Aufstehen.
„Alter, du stinkst.“
Kalle bekam einen Hustenanfall. Er spuckte den Rotz in den Schnee. Am nächsten Morgen würden die ersten Passanten hier eine kleine Blutlache finden. Dann hakte Thomas ihn unter und sie setzten sich in Bewegung.
Die Krankenschwester am Empfang des Urban-Krankenhauses drückte sofort auf die Notruf-Taste, als die beiden durch den Eingang taumelten. Kalles zerfetzter Mantel war blutverschmiert, und auch auf Thomas Jacke hatten einige Spritzer ihren Weg gefunden. Das letzte Stück des Weges hatte er Kalle fast tragen müssen. Der
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