Virus - Rückkehr der Vogelgrippe (German Edition)
ließ das Reizgas in die Tasche gleiten.
39
Marianne hatte den Tag zuhause verbracht. Immer wieder wurde sie von Weinkrämpfen geschüttelt, denen jedes Mal starke Kopfschmerzen folgten. Am frühen Nachmittag hatte sie eine doppelte Dosis Schmerztabletten genommen. Die Tabletten hatten den gewünschten Effekt erzielt. Danach war sie stumpfsinnig vor dem Fernseher gesessen. Die Bilder und Töne hatte sie kaum wahrgenommen. Aber der Teppich aus Schmerzmitteln, Ton und bunten Bildern dämpfte den tiefen Schmerz. Erst als der Bildschirm schwarz wurde und plötzlich alle Lichter ausgingen, erwachte sie aus ihrer Starre.
Als sie aufstand, wurde ihr kurz schwindlig. Vorsichtig tastete sie sich durch das Zimmer. Es war stockdunkel. Mit dem Fuß stieß sie gegen den Beistelltisch des Sofas. Die Vase, die darauf stand, zerplatzte auf dem Boden mit einem lauten Knall. Marianne schwankte. Sie hielt sich am Tisch fest, aber er gab nach. Es knirschte leise, als sie mit den Händen in die Scherben fiel. Mühsam richtete sie sich auf. Sie spürte kaum Schmerzen, nur das warme Blut, das aus den Schnitten lief.
Dass die Leitung tot war, merkte sie erst, nachdem sie zum dritten Mal Krentlers Mobilnummer gewählt hatte. Schluchzend warf sie das Telefon zu Boden. In der Küche suchte sie nach Kerzen, fand aber keine. Ohne sich um ihre verletzten Hände zu kümmern nahm sie ihre Schlüssel und verließ die Wohnung. Im Büro gab es Kerzen, der Weg war nicht weit, sie würde schnell laufen und welche holen.
Als sie auf die Straße trat, wurde ihr wieder schwindlig. Ihr Körper zitterte. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und schloss die Augen. Noch immer lief warmes Blut aus den Wunden an ihren Händen. Es tropfte auf den Boden. Marianne öffnete die Augen. Sie hob ihre Hände vors Gesicht. In der Dunkelheit konnte sie nur die Umrisse erkennen. Sie hielt sich die nassen Handflächen an die Wangen. Genoß die Wärme auf der kalten Haut. Ihre Gedanken waren wie eingehüllt in einen Nebel.
Unterwegs begegnete ihr niemand. Es nieselte. Marianne bemerkte es nicht.
Im Büro stopfte sie alle Kerzen, die sie finden konnte, in ihre Manteltaschen, dazu eine große Packung Streichhölzer. Sie ruhte sich einige Minuten aus und trank ein Glas mit Wasser. Ihre Wunden schmerzten inzwischen stark. Im Medikamentenschrank fand sie Schmerzmittel. Hastig riss sie die Packung auf, drehte den Verschluss von dem kleinen Fläschchen und schüttete sich ein paar der Pillen in die hohle Hand. Dann ging sie zurück in die kleine Teeküche und füllte ein Glas mit Wasser. Der metallische Geschmack von Blut legte sich über ihre Zunge, als sie die Hand über den Mund legte und die Pillen schluckte. Das Wasser trank sie in einem Zug aus. Dann verließ sie das Büro.
Einige Minuten später setzte die Wirkung des Schmerzmittels ein und raubte ihr für einen Moment den Atem. Keuchend stützte sie sich gegen die Häuserwand. Die Schmerzen verschwanden in weite Ferne. Ein Hochgefühl machte sich in ihr breit. Kühle Luft füllte ihre Lungen. Euphorisch blickte sie in den Himmel. Der Regen benetzte ihr Gesicht. Alles würde gut werden.
Fünfzig Meter weiter brach sie zusammen.
Als sie wieder zu sich kam, spürte sie auch ihre Beine nur noch in weiter Ferne. Arme und Hände waren taub. Mühsam richtete sie ihren Oberkörper auf. Einen Moment lang blieb sie sitzen. Dann stand sie auf. Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Zitternd ging sie los. Vor ihren Augen verschwamm der Gehweg. Sie erkannte den Eingang zu ihrem Haus. Kraftlos lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Wand. Nur einen Moment Pause machen, Kraft sammeln für die vielen Treppen.
Kälte drang aus den Steinen durch den Stoff. Ihr Blick fiel auf ihr Auto, das sie einige Tage zuvor hier geparkt hatte. Sie nestelte die Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Fahrertür und setzte sich hinters Steuer. Der Motor startete ohne Probleme. Sie schaltete die Heizung auf die höchste Stufe und lehnte sich zurück. Aus den Düsen blies die warme Luft an ihren tauben Armen entlang und über ihr nasses Gesicht. Erschöpft lehnte sie sich zurück. Vor ihren Augen verschwamm das Bild. Die Watte, die sich um die Schmerzen gelegt hatte, umfing ihren ganzen Körper. Sie spürte, wie sich die Welt von ihr entfernte. Sie war so erschöpft, so erschöpft. Mit einem Seufzen schloss sie die Augen.
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Als Krentler seinen Bericht beendet hatte, blickte Ralsmann ihn zweifelnd an.
„Wenn nicht sie es wären, der mir das gerade
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