Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe

Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe

Titel: Visionen Der Nacht: Die Dunkle Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
Vom Netzwerk:
verlassenen Kindes, doch die Stimme war tiefer, die eines Erwachsenen.
    Kait ließ das Klemmbrett fallen und sprang auf.
    Als sie an dem Wandschirm vorbei war, öffnete Joyce gerade die Tür zum hinteren Labor. Alle anderen starrten ihr wie gelähmt hinterher. Kait riss sich zusammen und folgte Joyce. In diesem Moment hörte das Schreien auf.
    »Beruhige dich! Ganz ruhig«, sagte Marisol. Sie stand vor Sid, dem Freiwilligen mit der blauen Irokesenfrisur. Er kauerte an der Wand. Sein Blick war wirr, die Mundwinkel hingen herunter, Speichel rann ihm übers Kinn. Er weinte jetzt.
    »Wie lange?«, fragte Joyce Marisol und ging mit ausgestreckten Armen auf Sid zu, als wolle sie sagen: »Ich tu dir nichts«.
    Marisol drehte sich um. »Etwa 45 Sekunden.«
    »Oh Gott«, sagte Joyce.
    »Was ist passiert?«, platzte Kaitlyn heraus. Sie hielt
es nicht aus, diesen erwachsenen Burschen weinen zu sehen. »Was ist hier los? Was hat er denn?«
    »Kaitlyn, bitte«, sagte Joyce. Sie klang gequält.
    In diesem Moment öffnete sich die Tür des Stahlraums. Gabriel schritt heraus, ein höhnisches Grinsen auf dem ebenmäßigen Gesicht.
    »Ich habe Sie gewarnt«, sagte er kalt zu Joyce, die ihm den Rücken zugekehrt hatte.
    »Der Freiwillige hat übernatürliche Kräfte«, sagte Joyce tonlos.
    »Aber offenbar nicht genug«, sagte Gabriel.
    »Dir ist das wohl völlig egal?«, sagte eine Stimme hinter Kaitlyn. Sie zuckte zusammen, denn sie hatte Rob nicht kommen hören.
    »Rob …«, sagte Joyce, doch in diesem Augenblick machte Sid eine hektische Bewegung, als wolle er auf und davon.
    Joyce hatte alle Hände voll zu tun, ihn festzuhalten.
    »Ich habe gesagt, dir ist das wohl völlig egal«, wiederholte Rob und baute sich vor Gabriel auf. Auf Kait wirkte er wie ein goldener Racheengel. Während er von Licht umgeben schien, gab es um Gabriel nur gefährliche Düsternis. Kait hatte Angst um Rob. Gabriel war im Gefängnis gewesen. Wenn es zu einer Auseinandersetzung kam, ging Kaitlyn jede Wette ein, dass er unfair kämpfen würde. Der Testperson hatte
er offensichtlich etwas Schreckliches angetan – das konnte er bestimmt jederzeit wiederholen.
    »Ich habe das Experiment nicht angeordnet«, sagte Gabriel drohend.
    »Nein, aber du hast es auch nicht verhindert«, fauchte Rob.
    »Ich habe sie gewarnt.«
    »Du hättest dich auch weigern können.«
    »Wozu denn? Ich habe den beiden gesagt, was passieren kann. Danach war es ihr Problem.«
    »Und jetzt ist es auch mein Problem.«
    Sie standen sich Aug in Aug gegenüber. Im Raum war es stickig, und es lag eine fast schon elektrische Spannung in der Luft. Kaitlyn hielt es nicht länger aus.
    In drei Schritten war sie bei ihnen. »Hört endlich auf«, rief sie. »Wenn ihr euch anschreit, hilft das auch nicht weiter.«
    Die beiden starrten sich hasserfüllt an.
    »Rob«, sagte Kaitlyn. Ihr Herz hämmerte. Er sah atemberaubend aus, wenn er, wie jetzt, vor Wut kochte. Aber sie spürte, dass er in Gefahr war.
    Seltsamerweise reagierte nicht Rob, sondern Gabriel. Er wandte sich von Rob ab und bedachte Kaitlyn mit einem seiner beunruhigenden Lächeln.
    »Keine Sorge«, sagte er. »Ich werde ihn nicht umbringen – noch nicht. Ich will ja nicht gegen meine Bewährungsauflagen verstoßen.«

    Seine grauen Augen taxierten Kaitlyn und ließen sie frösteln. Sie sah Rob an.
    »Bitte.«
    »Okay«, sagte Rob langsam. Er atmete tief ein und tat einen Schritt zurück.
    Die Spannung löste sich. Kaitlyn hatte den Freiwilligen Sid fast vergessen, doch nun sah sie, dass Joyce und Marisol ihn überredet hatten, sich hinzusetzen. Er saß vornübergebeugt da, den Kopf auf die Knie gelegt.
    »Oh Mann, was hast du nur mit mir gemacht?«, murmelte er.
    »Was hast du denn mit ihm gemacht?«, fragte Rob Gabriel. Das hätte Kaitlyn auch gern erfahren – genauer gesagt, war sie gespannt wie ein Flitzebogen –, doch sie fürchtete, dass die Situation wieder eskalieren könnte.
    Gabriel jedoch starrte nur düster, fast verbittert vor sich hin. »Vielleicht erfährst du es eines Tages«, sagte er bedeutungsvoll. Es klang wie eine Drohung.
    In diesem Moment hörte Kaitlyn Lewis’ aus dem vorderen Labor rufen: »Äh … Joyce, Mr. Zetes ist hier.«
    »Oh Gott«, sagte Joyce unglücklich und richtete sich auf.
    Kaitlyn konnte sich gut in ihre Lage versetzen. Kein Test war zu Ende geführt worden, alle standen hier herum, und eine der Testpersonen war völlig von der
Rolle. Es war, wie wenn der Schulrat zu Besuch kommt und die Klasse

Weitere Kostenlose Bücher