Visionen (Kobaltblaue Träume) (German Edition)
Gesichtsausdruck vielleicht sogar lachen.
„Willst du mich verarschen?“, fragt Rheena leise. „Wir sind doch mindestens zwanzig Meter entfernt.“
Und das ist nicht mal annähernd weit genug.
„Sei einfach still!“, bitte ich und ernte einen konsternierten Blick, und zwar in zweifacher Ausfertigung.
Wie, um alles in der Welt, soll ich denn auch erklären, dass Vics Gehör besser funktioniert, als das eines Luchses?
Glücklicherweise muss ich das nicht, denn Vic beginnt eben mit seiner Vorstellung. Ich weiß, dass er sich so kurz und knapp wie möglich hält, als er kurzerhand seinen Namen nennt und rasch hinterher schiebt, dass er sich auf ein angenehmes Miteinander freut.
Er hat Kay und mir gestern Abend noch erzählt, dass Direktor Baker darauf besteht, dass die Schüler ihn mit Mr. Prescott anzusprechen haben, was Vic auch ohne zu zögern akzeptiert hat.
Und da außer Rheena, Lily, Zac, Greg und natürlich Kay und mir niemand weiß, dass ich inzwischen einen anderen Nachnamen habe, hoffe ich von ganzem Herzen, dass …
„ Aber … aber das … ist doch unmöglich!“
Kay zuckt zusammen, noch bevor die schrille Stimme mein Gehör erreicht, und ich weiß, dass ich vergebens gehofft habe.
Sein empathischer Sinn hat ihm bereits verraten, was meiner Lieblingsfeindin wohl gerade aufgegangen ist.
Miriam sitzt mit Moskito selbstverständlich ganz vorne und als Vic auf die Bühne kam, ist sie auf die äußerste Kante ihres Stuhles gerutscht, um ihn gnadenlos zu begutachten.
Bevor Direktor Baker nachfragen kann, was es ist, das sie so sehr echauffiert, folgen alle Anwesenden Miriam, die mit weit aufgerissenen Augen ihren Blick zwischen Vic und mir hin und her schweifen lässt.
Mist, verdammter!
Selbstverständlich bin ich nicht so dumm, um mir nicht ausmalen zu können, dass man früher oder später die Ähnlichkeit zwischen Vic und mir bemerken wird. Allerdings wäre mir später sehr viel lieber gewesen, da somit auch die Frage, die ich so sehr fürchte, in greifbare Nähe rückt.
„ Mach dir keine Sorgen, Baby!“
„ Ich geb mir alle Mühe.“
Kay drückt meine Hand und ich versuche mich an einem Lächeln. Immerhin hat er es geschafft, mich mit anderen Dingen zu beschäftigen.
Zum Beispiel mit Miriam!
Jetzt sehe ich vor meinem geistigen Auge die vier Phasen, die sie durchlaufen hat, bevor sie zu ihrem Ergebnis gekommen ist.
Phase 1: Vordergründig steht hier die Neugierde, die sie den neu angekündigten Sportlehrer etwas näher in Augenschein nehmen lässt.
Phase 2: Die blitzartige Erkenntnis, dass es sich bei ihm um durchaus appetitliches Frischfleisch handelt, was ad hoc dazu führt, sich das Leckerli noch etwas genauer anzuschauen.
Phase 3: Kurzes, aber intensives Grübeln, woher ihr Mr. Prescott wohl so bekannt vorkommt. Diese Phase geht nur Sekunden später über in
Phase 4: Ihr schrilles Gequietsche!
Ehe es zu meinem persönlichen Horrorszenario kommen kann und ich mit Fragen bestürmt werde, schaltet sich Vic via Mikrofon ein.
„Wie ich sehe, ist Ihnen die Ähnlichkeit zwischen Ihrer Mitschülerin und mir nicht verborgen geblieben.“
Bei seinen Worten drehen sich alle wieder brav Richtung Bühne um und ich gestatte mir, kurz in mich zusammen zu sinken.
„Hey“, flüstert Kay und streichelt über meinen Rücken, „es war vorhersehbar, dass das passiert.“
Vorhersehbar … oh ja … und wie!
„Und wenn es jetzt schon passiert und Vic ein paar Worte dazu sagt“, fährt Kay fort, ohne sich anmerken zu lassen, ob er zwischen dem, was gerade geschieht und meinem Aussetzer von vorhin, einen Zusammenhang herstellt, „musst du dich ihren Fragen wenigstens nicht stellen. Hat doch auch was für sich, oder?“
Wo er Recht hat ...
„ Aber sie werden ganz sicher nicht Vic fragen, ob ...“
„Nein! Werden sie nicht. Aber da es eh absolut hirnrissig ist, solltest du dir wirklich keine Gedanken darüber machen, Kim!“
„Ich weiß“, flüstere ich tonlos.
Und ich weiß es wirklich – aber das ändert nichts an der Tatsache!
Schließlich hat meine beste und bis dato einzige Freundin Rheena mir vor nicht allzu langer Zeit genau diese Frage gestellt … und da war noch kein gemeinsames Geschwisterchen für Kay und mich unterwegs!
„ Um es kurz zu machen“, höre ich Vics Stimme und konzentriere mich auf seine Worte, „Kim ist meine Schwester. Damit wäre das also geklärt und ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend!“
Das Gemurmel und Getuschel ist ohrenbetäubend.
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