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Visionen (Kobaltblaue Träume) (German Edition)

Visionen (Kobaltblaue Träume) (German Edition)

Titel: Visionen (Kobaltblaue Träume) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lösel
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Jedenfalls empfinde ich es so.
Unsere kleine Sechser-Clique erhebt sich kollektiv und einige unserer Mitschüler schieben ebenfalls geräuschvoll ihre Stühle nach hinten, um aufzustehen.
Wieder ist es Miriam, die sich einfach nicht damit zufrieden geben kann und unsere Flucht schamlos verhindert.
„Aber, ich verstehe nicht, Mr. Prescott“, flötet sie und obwohl ich nur ihren Rücken bestaunen darf, sehe ich vor mir, wie sie mit ihren angeklebten Wimpern klimpert und ihre aufgespritzten Lippen zu einem – wie sie gerne betont – Schmollmund spitzt.
Ich finde ja, sie sieht aus wie ein gestrandeter Karpfen.
„Was verstehen Sie nicht, Miss?“
Beinahe muss ich grinsen, wie gewählt Vic sich ausdrückt. Natürlich weiß er alleine schon von Kays und meinen Beschreibungen, dass dies Miriam ist.
„Miriam, ich bin Miriam, äh … Mr. …?“
Mir dreht sich der Magen um. Ich fass' es nicht. Versucht dieses Miststück etwa gerade, meinen Bruder in aller Öffentlichkeit anzumachen und ihn noch dazu zu bewegen, ihn Vic nennen zu dürfen?
„Was hast du erwartet, Baby?“ höre ich Kay in meinem Kopf. „ Sie ist nun mal eine Schlampe.“
    Vic hat jedoch nicht vor, auf ihre Anmache einzugehen und hakt nach, dieses Mal etwas weniger nett.
„Prescott ist mein Name“, erinnert Vic mit charmanter Stimme.
Ach Vic, ich könnt dich knutschen!
„ Ich werde Ihnen gerne Ihre Frage beantworten, Miss Shovelbaker ...“
What?
Mir fällt auf, dass ich bisher keine Ahnung hatte, wie Miriam mit vollem Namen heißt … nicht, dass es mich auch nur im Entferntesten interessiert.
Allerdings sorgt Vic mit der Nennung desselben für erheitertes Glucksen der kompletten Schülerschar.
Bis auf Miriam, natürlich. Deren Wangen werden von hektischen roten Flecken verziert.
„Aber“, spricht Vic mit der Stimme eines liebevollen Vaters weiter, „Sie sollten sich etwas beeilen, denn Ihre Schulkameradinnen und Kameraden haben Hunger.“
Ich bin sicher, Miriams Wangen färben sich noch dunkler, ob Vics Zurechtweisung. Dennoch ist ihre Neugierde stärker, als ihre Scham – so sie denn überhaupt in der Lage ist, welche zu empfinden.
„ Kim heißt doch gar nicht Prescott. Wenn ich mich recht entsinne, ist ihr Nachname Pattson, oder irre ich mich?“
Während ich mir überlege, wie Vic das jetzt erklären soll, ohne sich in Details zu ergehen, die ohnehin niemanden etwas angehen, sagt er lächelnd, jedoch mit einer Stimme, die jede weitere Frage im Keim erstickt: „Sie irren sich, Miss. Kims Nachname ist Prescott. Und jetzt wünsche ich Ihnen allen einen guten Appetit!“
    Mit diesen Worten nickt er allen Schülerinnen und Schülern noch einmal zu und will die Bühne verlassen.
Ich weiß nicht, ob es das schlagartig einsetzende Durcheinander von Fragen ist, oder ob es daran liegt, dass mein Bruder nicht auf Kays empathische Sinne angewiesen ist, um zu bemerken, wie ich mich fühle.
    Und ich fühle mich, verdammt noch mal, absolut unfähig, mich diesen Fragen zu stellen, die, sobald wir hier raus sind, unweigerlich auf mich einprasseln werden.
„ Wir schaffen das, Baby! Ich bin bei dir.“
    Das gequälte Lächeln, dass ich Kay schenke, ist ihm Antwort genug und er kneift seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.
    „ Okay“, höre ich da plötzlich Vics Stimme erneut durch das Mikrofon, „um zu verhindern, dass einige von Ihnen heute Nacht keinen Schlaf finden, werde ich versuchen, mit wenigen Sätzen zu erläutern, was Sie so sehr beschäftigt.“
Das ist verdammt nett umschrieben, finde ich. Auch wenn vorzugsweise ich diejenige sein werde, die nicht schlafen wird, weil ich mir mal wieder den Kopf zerbrechen werde.
Dumm, aber so bin ich nun mal.
Ich sehe, wie Vics Wangenmuskeln arbeiten und weiß, dass er sich nur mühsam zurückhält, die ganze Meute nicht anzubrüllen.
Er denkt dasselbe, wie ich: Das Wie und Warum geht keinen von diesen Menschen etwas an.
Gleichzeitig blinzele ich gegen die Tränen an, die sich in meinen Augen sammeln, weil ich Vic dankbar dafür bin, dass er das hier jetzt durchzieht.
Er tut das einzig und allein, um mich davor zu bewahren, mich den Fragen meiner Mitschüler stellen zu müssen.
Obwohl doch nun wirklich nichts dabei ist, sollte man meinen.
Ich war nicht wirklich lange auf Castillian, bevor hier alles im Chaos endete. Allerdings immerhin lange genug, um zu wissen, wie sehr man sich hier auf jede Neuigkeit stürzt und sie bis ins Kleinste ausschlachtet beziehungsweise

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