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Vögelfrei

Titel: Vögelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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irgendwo musste ich schließlich anfangen. Also nahm ich die beiden als Schicksalsgöttinnnen, verpackte meine restlichen Kalorienbomben in der Papiertüte und folgte ihnen durch die brennende Sonne. Sie gingen leise schwatzend bis zum Broadway und bogen dann rechts ab.
    Auf meinem Stadtplan sah ich, dass ich, wenn ich dieser Straße immer weiter folgte, nahe am Ground Zero vorbei bis zur Südspitze von Manhattan gelangen würde. Ich ließ etwas mehr Abstand zwischen uns, damit sie mich nicht bemerkten und sich womöglich verfolgt fühlten. So bummelte ich den Broadway entlang, vorbei am exklusiven Feinkostgeschäft Dean & Deluca, an Dutzenden von kleineren Boutiquen, Coffeeshops und Krimskramsläden.
    Irgendwann zupften mich chinesische Frauen am Ärmel und hielten mir laminierte Fotos von Designerhandtaschen unter die Nase. Die Stände mit Billigparfüms und Elektroartikeln mehrten sich; wir hatten Chinatown erreicht. Meine beiden unfreiwilligen Stadtführerinnen bogen ab. Nach wenigen Metern war Amerika zu Ende, und ich stand in China.
    Vor einer Art Garage, in der in gestoßenem Eis Krebse und anderes Getier um ihr Leben zappelten, blieben die beiden Frauen stehen. Nach einigem Hin und Her packte ihnen der Verkäufer einen großen, gepunkteten Fisch mit merkwürdig geschlitzten Pupillen in eine Tüte, verbeugte sich mehrfach und kümmerte sich dann um eine
junge Chinesin, die sich für die zappelnden Aale interessierte. Als ich gerade weitergehen wollte, trat ich aus Versehen jemandem auf die Füße, der hinter mir gestanden hatte. Ich drehte mich um und sah in ein dunkles, wie geschnitztes Gesicht mit blendend weißen Zähnen und schwarzen wilden Locken.
     
    Auf Englisch sagte er irgendetwas von »Hai« und nickte in Richtung der Inderinnen, die schon etwas entfernt ihre Einkäufe wegschleppten. Er hatte mich gleich als Ausländerin erkannt und sprach sehr langsam. Als ich ihn trotzdem nicht richtig verstand, zeigte er wieder auf die beiden Frauen und stellte pantomimisch eine schwere Einkaufstüte dar. Dann machte er mit der Hand eine Wellenbewegung, summte die ersten Takte der Filmmusik aus Der weiße Hai , fuhr sich schließlich mit der Hand hinter das Ohr und miaute.
    Ich überlegte: Haikatze? Katzenhai? Der Mann strahlte, machte eine Geste, als würde er essen, rieb sich den Bauch und zeigte hinter uns zum Broadway, wo man das orangene Schild eines indischen Restaurants sah. Ich zuckte die Schultern und lächelte. Ich hatte zwar gerade erst die Leckereien aus dem Coffeeshop vertilgt, doch ich gehöre zu den Frauen, die immer und überall essen können. Außerdem war der Mann nicht nur ausgesprochen attraktiv, sondern offenbar auch Inder und als solcher genauso ein gutes Orakel wie die beiden älteren Frauen.
    Wir setzten uns in eine Nische, und er bestellte für uns. Als er wieder anfing, mir mit Gesten etwas zu erklären, unterbrach ich ihn und sagte auf Englisch, ich könne ihn eigentlich schon verstehen, nur müsse er bitte weiter
langsam sprechen. Er strahlte, und von da an verstanden wir uns gut.
    »Samir. Schön, dich kennenzulernen.«
    »Marei van den Brouck, hallo.«
    »Niederländerin?«
    »Zur Hälfte.«
    Es war das erste Mal, dass ich Katzenhai aß - aber ich erinnere mich nur an Samirs schwarze glänzende Haarsträhne, die ihm immer wieder über die Augen fiel und die er dann mit seiner schlanken braunen Hand wegstrich. Sein wie mit schwarzem Kajal ummalter Blick war dabei konzentriert auf mich gerichtet, und wenn er lachte und seine unglaublich weißen Zähne zeigte, erschien an den Augenwinkeln ein Netz aus Lachfältchen. Ich erzählte ihm, dass ich nach einer Frau suchte, die wegen eines Filmangebots hier sei, und legte das Foto von Madhuri auf den Tisch.
    Er sah sie lange an. Ich hoffte, er würde mir sagen, welche Filmstudios infrage kamen, wen ich in Little India löchern könnte, oder ob es sich lohnte, in einer so riesigen Stadt eine Anzeige in einer Zeitung aufzugeben. Aber Samir gab mir das Foto zurück, sagte nur: »Ich kenne diese Frau«, und legte mir die Hand auf den Arm.
    Ich versuchte, den warmen Druck zu ignorieren und auch die kleinen Härchen auf meiner Haut, die sich aufstellten. Ich konnte es nicht fassen, das war doch die Stecknadel im Heuhaufen.
    »Sie ist vor kurzem aus Deutschland hergekommen«, sagte er und ließ mich dabei die ganze Zeit nicht aus den Augen. »Sie hat etwas mit Film zu tun.« Und nach einer
kleinen Pause: »Ich habe auch eine Rechnung mit ihr offen,

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