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Vögelfrei

Titel: Vögelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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stehen. Wir wollten gerade wieder zur Subway gehen, um - sehr newyorkerisch - bei Zabar’s koscher zu essen, als Samirs Handy klingelte. Er hielt es mit etwas Abstand ans Ohr, und ich hörte die aufgeregte Stimme eines Mannes schimpfen. Samir sagte nichts, brummte nur ab und zu, wandte sich mit einem Seitenblick auf mich ab und sagte dann leise und scharf einige Sätze.
    »Ärger?«
    Ich wurde den Eindruck nicht los, dass es dabei um mich ging. Samir zuckte mit den Schultern.

    »Mein Vater regt sich gern auf.« Nachdem wir zügig zur nächsten Subwaytreppe gegangen waren, fügte er hinzu: »Aber vielleicht ist es ganz gut, wenn wir heute Abend vor dem Bombay kurz zu meiner Familie fahren.«
    Mir kam das komisch vor, wieso interessierte sich seine Familie für mich? Samir bemerkte meine Unsicherheit, zog seinen Führerschein aus der Tasche und schob ihn mir in die Tasche.
    »Hier, hinterleg ihn irgendwo, wenn du fürchtest, verschleppt zu werden.«
    Ich lachte und hakte mich bei ihm ein. Obwohl wir nachmittags noch mit der Seilbahn von Roosevelt Island fuhren und in einem hübschen kleinen Park picknickten, war seine Stimmung gedämpfter als vor dem Anruf. Und als wir abends bei seiner Familie in Brooklyn ankamen, wurde mir auch langsam klar, warum. Seine Mutter öffnete uns die Tür und musterte mich misstrauisch. Sie setzte mich im Wohnzimmer in einen Sessel, ohne mich weiter zu beachten, und begann ihn zusammen mit Samirs Vater, einem kleinen, schon gebückt gehenden Mann, dem man die schwere Arbeit ansah, ins Gebet zu nehmen.
    Niemand sprach Englisch, aber an ihren Gesten, dem Tonfall und den gelegentlichen Blicken in meine Richtung merkte ich, dass ich das Thema sein musste. Erst als Samir mit seinem Vater in die Küche ging und seine Mutter sich zu mir setzte, wurde die Situation erträglicher. Sie verglich meine Haut bewundernd mit Milch und gab mir für den Club, in den wir gehen wollten, einen langen, violett schimmernden Schal mit goldenen
Fransen. Leise bat ich sie, mir einen Hinweis zu geben, worum es hier eigentlich ging.
    »Es ist wegen seiner Hochzeit.«
    Ich wollte schon nachhaken, aber Samirs Mutter bedeutete mir, dass es besser sei zu schweigen, und so wartete ich, bis ich wieder mit ihm allein war. Wir nahmen ein Taxi zum Club. Er hielt meine Hand und sah unglücklich aus. Ich drehte mich zu ihm.
    »Was ist los mit deiner Familie? Was ist das für eine Hochzeit?«
    Er brummte unwillig. »Es gibt keine Hochzeit. Nächste Woche kommt die Tochter eines Freundes meines Vaters aus New Delhi, die soll ich kennenlernen. Mehr gibt’s da nicht zu erzählen.« Ich nickte.
    »Aber deine Eltern finden das offenbar sehr wichtig!?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Sie ist reich, und mein Vater hat früher für diesen Freund gearbeitet. Es wäre also ein Aufstieg.«
    Das genügte mir nicht, ich bohrte nach. »Aber du kennst dieses Mädchen doch gar nicht?«
    Samir nahm fest meine Hand und strich darüber. »Ich kenne sie kaum, und ich entscheide, was ich tue oder lasse. Niemand kann mich zwingen zu heiraten. Und jetzt reden wir bitte von etwas anderem.«
    Ich lehnte mich an ihn und zog das Foto von Madhuri heraus, um es mir noch einmal anzusehen. Er tippte darauf.
    »Du triffst sie heute. Bist du nervös?«
    Ich schluckte. Plötzlich war ich mir gar nicht mehr so sicher, dass ich ihr begegnen wollte. Aber ich hatte es Leo
versprochen, und vielleicht war es auch für mich gut, sie zu sehen.
     
    Der Club war brechend voll, als wir ankamen. Ich wusste nicht, ob ich zuerst auf die bonbonfarbenen Saris, den funkelnden Goldschmuck, die dunkel geschminkten riesigen Augen oder die oft hüftlangen Haare der Frauen sehen sollte. Viele trugen Hennamalereien auf ihren Händen, dem Hals oder Rücken und drehten die Hände kunstvoll beim Tanzen, während sich ihre Hüften so schnell bewegten, dass die Kettchen und Gürtel klirrten. Ich knotete den Schal um meine Taille und ließ mich von Samir durch die Menge ziehen. Auf großen Leinwänden wurden Ausschnitte aus Filmen gezeigt, meistens Tanz- oder Kussszenen, und immer wenn ein bestimmter Mann oder eine bestimmte Schönheit auf der Leinwand erschien, klatschten entweder die Männer oder die Frauen.
    »Das sind Shah Rukh Khan und Aishwarya«, erklärte Samir. »Die besten Schauspieler, die wir haben.« Dann zeigte er auf eine Nische: »Da sitzen schon Leute vom Film. Magst du tanzen? Dann kannst du sie im Auge behalten und bist gleich da, wenn Madhuri auftaucht.«
    Etwas

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