Vögelfrei
eine Inszenierung, die ich vor einem Jahr für einen Kunden entworfen habe. Normalerweise inszeniere ich lebende Videoclips, damit du dir die
Größenordnung vorstellen kannst, aber das war geradezu eine Oper. Er hat ein Faible für sehr junge, sehr weißhäutige rothaarige Mädchen, echte Rothaarige. Helle Wimpern, helle Brauen, ganz wichtig. Ich musste ein halbes Dutzend auftreiben, die extrem kindlich aussehen sollten. Dann haben wir zusammen mit ihren jeweiligen Gynäkologinnen ihren Zyklus koordiniert, sodass alle sechs ihre Periode gleichzeitig hatten. Zweimal musste ich ihm wieder absagen und die Sache verschieben, weil eins der Mädchen außerhalb der Reihe blutete. Diese Mädels habe ich in einem komplett weißen Raum hindrapiert; den zeig ich dir nachher, es ist der größte, den ich hier im Studio habe. Der Raum war mit weißer Seide ausgeschlagen, auch weiße Stoffbahnen hingen von der Decke; es war alles sehr Alanis Morissette. Ein Mädchen saß auf einem Thron aus weißem Satin, eins auf einer Glasplatte, die Hübscheste schaukelte auf einer Stoffbahnenschlaufe, und eine andere lag in einer gläsernen Wanne, die ich mit Wasser und Milch gefüllt hatte. Gott, diese Wanne habe ich in Brüssel bei einem Glaser bestellen müssen, Spezialanfertigung, na ja, egal. Da saßen die Mädels nun, spazierten im Raum herum, wechselten auch mal die Positionen und menstruierten so vor sich hin. Als man überall die roten Blutspuren sah, führte ich den Kunden hinein, der sich nackt in die Mitte des Raums setzte und stundenlang an sich rumrubbelte, ohne dass die Mädchen Notiz von ihm nehmen durften. Irgendwann ist er eingeschlafen und später dann gegangen.«
Ich staunte. »Dass dem dabei einer abgeht …«
»Dem ist dabei keiner abgegangen. Aber nachts im Bett, eingezwängt in einen viel zu kleinen bunten Frotteeschlafanzug,
da ist es ihm dann gekommen, im Traum. Es ging überhaupt nicht um den Raum und darum, was ich da gezaubert hatte, es ging um die Träume danach.«
Ich dachte an meine eigenen Träume und dass ich Gemmas Dienste gern in Anspruch nehmen würde, wenn sich dadurch die Spannung in meinen frigiden Träumen lösen würde.
»Findest du so etwas nicht abartig?« Meine Stimme war ein wenig piepsig, als ich sie das fragte, aber Gemma kaute gut gelaunt an der letzten Waffel und schüttelte energisch den Kopf.
»Sex ist das einzig wirklich Demokratische. So hässlich oder pervers kann man gar nicht sein, dass man in der weiten Welt keinen zum Ficken findet. Und Sex ist so viel mehr als nur Ficken und Bummsfallera. Eins der Mädels verkauft ihm heute noch monatlich ihr Menstruationsblut und verdient sich damit was dazu. Okay ist es, wenn beide etwas davon haben, und das muss nicht immer sexuelle Befriedigung oder kosmische Selbstverwirklichung sein.« Sie strich mir über die Wange. »Auch nicht immer Liebe, Leidenschaft oder das große Drama.«
»Das ist ab heute vorbei«, verkündete ich. »Bis auf Weiteres werde ich mich jetzt Dingen widmen, die ich noch nie gemacht habe. Die große Liebesdienerin hat mal Pause. Ich bin es leid, mich immer zu fragen, wie es anderen wohl mit meiner Liebe geht. Vielleicht gibt es da viel mehr als das traute Glück zu zweit.«
Gemma grinste, nickte und deutete mit der Gabel auf die Treppe, die hinunter zu ihrem Studio führte.
Ein Sklave öffnete uns die Tür und verbeugte sich tief vor Gemma. Er trug einen Anzug aus schwarzem Gummi, der bis über den Kopf reichte und nur die Augen freiließ. Seinen Mund versteckte ein zugezippter Reißverschluss. Nur seine Füße waren nackt und, wie ich mich gleich überzeugte, sauber manikürt und ausgesprochen gepflegt. Gemma schickte ihn mit knappen Anweisungen ins Büro, um den Generalschlüssel und eine Liste zu holen. Er verbeugte sich kurz und ging rückwärts bis zur nächsten Tür.
»Auf der Liste sind alle Termine des Tages und der Woche vermerkt«, erklärte sie mir. »Das können Kundenbesuche sein oder Treffen mit Handwerkern, Ärzten oder freien Mitarbeiterinnen.«
Ich ging hinter den beiden einen langen Korridor entlang, der nichts von einem S/M-Studio hatte, sondern eher wie der Bühnengang eines Theaters aussah.
Im Vorbeigehen knipste Gemma das Licht in den Räumen links und rechts an und ließ mich in Werkstätten sehen, in die Kleiderkammer, den Requisitenfundus, ein weiteres Büro, in dem eine Mitarbeiterin telefonierte und uns zuwinkte, und diverse große und kleinere Zimmer. In einigen sah es aus wie bei
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