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Vögelfrei

Titel: Vögelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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wir die halbe Stadt. Ich war so müde und gleichzeitig so aufgedreht, dass ich es kaum merkte. Leander erzählte von sich. Von seiner Mutter, die in Kyoto lebte, und seinem Vater, der eine Freundin nach der anderen mit nach Hause brachte. Von seinem Studium an der Kunsthochschule. Wie er zufällig eine von Gemmas erotischen Inszenierungen in einem kleinen Theater miterlebt hatte und fasziniert war von ihrer Ausstattung, dem Perfektionismus und der Ästhetik des Ganzen.

    »Ist dir mal aufgefallen, wie unglaublich gebildet Gemma ist?«, fragte er. »Sie hat in ihren Kulissen und Räumen überall verstecke Zitate. Sie kennt sich mit Antiquitäten aus, mit Literatur, Kunst, Mythologie, sogar mit Religion. Ihre Maschinen sind Meisterwerke. Im Grunde ist sie eine Künstlerin.«
    »Dann war das der Grund, weswegen du bei ihr warst?«
    »Dieser absurde Sex war es bestimmt nicht. So sollte Sex nicht sein, finde ich. Ich stelle mir das schöner vor, einfacher.«
    Ich drückte seine Hand. »Du bist ein Romantiker.«
    »Lachst du mich aus?«
    »Nein, ich bin auch eine Romantikerin. Im Grunde möchte ich nur zwei nackte Menschen, die freundlich miteinander umgehen und sich im besten Fall sogar noch lieben. Leider klappt das gerade nicht so gut.«
    Wir erreichten ein altes Mietshaus. Er zeigte mit der freien Hand unters Dach. »Da oben wohne ich.« Er öffnete die Tür, aber ich zögerte. Ich sah neue Verwicklungen auf mich zukommen, die ich wirklich nicht brauchen konnte. Ich hatte weder die Kraft noch die Nerven, um die Verantwortung für jemanden zu übernehmen, der so jung war und, wie mir schien, auch nicht sehr viel Erfahrung hatte.
    Leander spürte meinen Widerstand und lehnte sich ruhig gegen den Hauseingang. Die Tür hielt er mit einem Fuß offen. Er umfasste meine Taille, und wir standen einfach da. Ich hatte laufend Filme im Kopf; hinter meiner Stirn änderten sich die Bilder sekundenschnell, als würde jemand mit einer Fernbedienung durch die Kanäle
zappen. Ich sah mich ihn an den Schritt fassen und uns im Treppenhaus die Kleidung vom Leib reißen. Ich sah mich, wie ich ihm über die Wange strich und ging. Ich sah ihn als älteren Mann und mich als ganz junges Mädchen. Leander zog mich an sich, suchte meinen Blick und wartete, bis ich wieder ganz bei ihm war.
    »Stehst du gut so?«, fragte er, und völlig überrascht nickte ich. »Okay, dann bleiben wir eine Weile stehen, bis du dich sortiert hast.«
    Ich entspannte mich und schaltete die Diashow in meinem Kopf aus. Hier stand ich, nach Rauch und Qualm stinkend, an seinen schmalen Körper gelehnt. Seine Haut war feinporig und weich und ohne jeden Bartschatten. Seine Wimpern waren lang und schwarz und am Oberlid mit Kajal betont. In seinem Ohr glitzerten Stecker. Ich fühlte seinen Brustkorb, fühlte die Rippen, wenn er einatmete, die Schnalle seines Gürtels. Ich spürte auch, dass er eine Erektion hatte, und überlegte, wie ich darauf reagieren sollte, aber ich war es leid, mir selbst immer einen Schritt voraus zu sein, und konzentrierte mich auf das, was ich empfand.
    Es fühlte sich gut an. Es war prickelnd und gleichzeitig vertraut, vielversprechend, doch nicht zwingend. Ich schmiegte mich fester an ihn, kam ihm entgegen, wurde weicher, nachgiebiger. Er atmete an meiner Schläfe. Ich schloss die Augen und blieb einfach so stehen, bis es gut war, bis ich die Intimität ertragen konnte.
    Ficken ist einfach. Zum Ficken muss man nur den Hintern hinhalten und sich seinen Teil dazu denken. Was für ein Quatsch zu glauben, dass man beim Sex ganz bei sich ist; man schwebt eher in einem Paralleluniversum,
man tauscht die Geilheit aus gegen seine wirkliche Persönlichkeit. Intimität auszuhalten, sich so nahe zu sein, ohne durchsichtig zu werden und zu verschwinden, darin besteht die Kunst. Und Leander war darin anscheinend besser als ich.
    »Ich würde wirklich gern duschen«, sagte ich schließlich, und er stieß die Tür mit der Fußspitze auf.
     
    Die Wände seiner Wohnung waren von oben bis unten mit Zeichnungen bedeckt.
    Ich schlenderte daran vorbei wie in einem Museum, während ich mit einem Handtuchturban um den Kopf und eingewickelt in einen Bademantel darauf wartete, dass Leander aus der Dusche kam.
    Großäugige Mädchen mit überdimensionalen Brüsten und winzigen Füßen staksten mit Laserpistolen, die Zzzzschhhh machten, durchs Bild. Planeten kreisten am Himmel, und merkwürdige Wesen hingen von Bäumen herunter. In einer zwiebeltürmigen Landschaft, die

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