Vogel-Scheuche
»Das hat etwas furchtbar Mächt i ges getan«, sagte Eve. »Aber ich weiß nicht, wer, denn sie hat es nie b e rührt.«
»Jemand hat die Marke verzaubert?« hakte Metria nach. »Aus der Fe r ne?«
»Ja. Eigentlich soll sie leer bleiben.« Eve verlor das Interesse und wi d mete sich wieder dem Kätzchen.
Metria tauschte einen Blick mit Dolph und Electra aus. »Es hat sich a l so tatsächlich jemand eingemischt. Und ich kann die Sache jetzt ignori e ren.«
»Haben wir noch genug Zeit, um die letzten beiden Marken zuzuste l len?« fragte Dolph.
»Gehen wir!«
Als erstes suchten sie Mark Knochen auf. Der lebte in einem Haus aus Knochen, zusammen mit seiner Frau Graci Knochen, ihrem achtjährigen Sohn Picka und der Tochter Gelenk.
»Wie gefällt dir denn nun deine Achtelseele?« erkundigte sich Metria. Sie war dabeigewesen, als Graeboe Riese Mark Knochen die Hälfte se i ner Seele gegeben hatte, was es dem wandelnden Skelett ermöglichte, sich dauerhaft außerhalb des Kürbisses aufzuhalten. Mark hatte seine Seele natürlich wiederum mit Frau und Kindern geteilt. Nun besaß jeder von ihnen eine Achtelseele, weil sich Seelen von leblosen Leuten nicht wieder regenerierten.
»Es ist merkwürdig«, meinte Pick.
»Seltsam«, gestand Gelenk.
»Aber nett«, ergänzte Graci. »Nun können wir ganz von allein nette Dinge tun, ohne sie uns erst ausdenken zu müssen.«
Genau das war es, was es mit der Knochen-Familie auf sich hatte: Sie waren immer nett gewesen, obwohl sie gar keine Seelen gehabt hatten. Metria hatte darauf nicht weiter geachtet, bevor sie ihre eigene Seele erhielt, doch jetzt erschien ihr das bemerkenswert. Mark und Graci w a ren zwei der anständigsten Kreaturen von ganz Xanth gewesen – obwohl sie gleichzeitig das Gegenteil von sich geglaubt hatten. Das provozierte Metria zu der Überlegung, ob die Seele tatsächlich die Quelle der Güte sein mußte.
»Ich habe eine Vorladung für Mark«, verkündete sie. »Als Geschwor e ner beim Prozeß gegen Roxanne Roc.« Sie schilderte ihnen die Lage, soweit sie selbst unterrichtet war.
»Ich werde gern daran teilnehmen«, sagte Mark schließlich und nahm die Marke in Empfang. »Obwohl ich mir schwer vorstellen kann, daß ein solcher Vogel etwas derart Strafwürdiges angestellt haben soll, oder daß ich selbst kompetent genug sein soll, ein Urteil darüber zu fällen.«
»Für mich ist das auch ein monströses Mysterium«, gestand Metria. »Ich war ja schon immer sehr neugierig, aber jetzt ist meine Neugier so angespannt, daß sie bald bricht.«
»Meinst du, Graci und die kleinen Knochen könnten vielleicht als Z u schauer mitkommen?« fragte Mark. »Es ist bestimmt sehr lehrreich für sie.«
Metria zuckte die Schultern. »Wir können sie ja mal mitnehmen und schaun, ob irgend jemand Einwände hat. Meine Aufgabe besteht schlie ß lich nicht darin, irgend jemanden davon fernzuhalten, ich muß nur s i cherstellen, daß alle Personen auf meiner List auch erscheinen.«
Die beiden Skelette hüpften auf und ab, klatschten in die knochigen Hände – es war ein sehr klappriges Geräusch. »Toll!« riefen sie. »Jetzt lernen wir das Namenlose Schloß kennen!«
»Seid ihr abmarschbereit?« erkundigte sich Metria. »Es ist zwar noch ein bißchen früh, aber mir ist es eigentlich lieber, die Leute sind etwas zu früh da als zu spät. Ich habe nur noch eine weitere Marke abzugeben, und wenn ihr nichts dagegen habt…«
Mark und Graci tauschten einen augenlosen Blick aus. »Wir sind b e reit«, verkündete Mark schließlich.
Also nahm Dolph wieder die Rocgestalt an, und Mark beugte sich vor, damit Graci ihn ins Gesäß treten konnte. Er flog auseinander und bildete sich zu einem Knochenkorb um, worauf die anderen diesen bestiegen, Dolph drei Klauen verhakte, die Flügel spreizte und sich in die Lüfte erhob.
»Ach, das macht aber Spaß!« rief Picka, während sie durch die Kn o chenstäbe des Korbs in die Tiefe spähten.
»Sieht genauso aus wie eine Landkarte!« rief Gelenk.
Metria stellte fest, daß auch sie den Flug genoß, wenn sie ihn durch i h re Augen betrachtete – es war ihr fast, als würde sie zum ersten Mal in ihrem Leben fliegen. Vielleicht war das auch ein kleiner Nebenvorteil, wenn man eine Seele besaß.
»Krächz!« Der große Vogel schwebte hoch oben im Kreis und orie n tierte sich.
Ach, das hatte sie schon ganz vergessen! »Flieg zum Ogersee«, rief sie Dolphs riesigem Schädel zu. »Zum Schwarzen Dorf.«
Der Vogel ging auf Kurs und hielt im
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