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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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ihr war. Wenn er sich daran erinnern konnte, dann hatte er noch nicht den Verstand verloren.
    Er begann zu rechnen. Der erste Mai, da war Beltane gewesen. Drei Wochen später hatte die Hochzeit stattfinden sollen, und am Dienstag vor der Hochzeit war er verhaftet worden. Das musste demnach der fünfzehnte Mai gewesen sein. Fünf Tage hatte der Ritt nach Fort William gedauert, das wusste er genau, weil er mitgezählt hatte, wie oft man ihm zu essen gegeben hatte. Also waren sie am zwanzigsten Mai im Fort angekommen, an dem Tag, an dem Cait und er hätten heiraten sollen. Schmerzlich berührt schloss er die Augen, verdrängte den Gedanken an das, was er verloren hatte, und rechnete weiter. Eine Nacht hatte er in der Zelle verbracht, dann einen ganzen Tag und noch eine Nacht, und dann war er in diesen Raum gebracht und ausgepeitscht worden. Am zweiundzwanzigsten Mai.
    Er schnappte nach Luft, als sich dieses Datum in sein Hirn einzubrennen schien. Wie hatte er diesen Tag vergessen können? Der zweiundzwanzigste Mai war sein Geburtstag. Er war heute einunddreißig Jahre alt geworden!
    Wieder zog er sich ganz in sich selbst zurück und wartete, die ganze lange kalte Nacht lang.
    Als Bedford in Begleitung des Dragoners zurückkehrte, war Dylan bis auf die Knochen durchgefroren. Die Nacht- wache wurde abgelöst, die Kerzen in den Wandhaltern, die schon lange heruntergebrannt waren, durch frische ersetzt. Bedford wandte sich an Dylan. »Nun, haben wir unsere Meinung geändert?«
    Dylan dachte gar nicht daran, ihm eine Antwort zu geben.
    Ein höhnischer Unterton schlich sich in die Stimme des Rotrocks. »Sollte es Euch am Ende gar die Sprache verschlagen haben?«
    Dylan schwieg.
    Bedford seufzte. »Nun gut.« Er flüsterte dem Soldaten einen Befehl zu. Dieser verließ den Raum und kehrte kurz darauf mit einer stark qualmenden Schüssel zurück, aus der zwei Eisenstäbe herausragten. »Dort hinüber«, wies ihn der Major an, und der Soldat setzte das seltsame Gerät gehorsam auf dem Boden ab. »Und jetzt dreht ihn um.«
    Der Dragoner löste einen großen, klirrenden Schlüsselbund von seinem Gürtel und schloss eine der Handschellen auf. Dylans Rücken und Schultern waren so verkrampft, dass er kaum die Arme sinken lassen konnte. Doch schon wurde er unsanft gepackt, herumgedreht und mit dem Rücken gegen den Pfahl geschoben. Wieder wurden ihm die Arme über den Kopf gerissen und die Kette durch den Ring gezogen, dann rastete die Handschelle mit einem Knacken ein. Nun stand er mit dem Rücken zum Holz und hinter dem Kopf gefesselten Händen da; die Kette ließ ihm überhaupt keinen Spielraum mehr, und er hatte das Gefühl, als würden sich seine Schultergelenke gleich aus den Pfannen lösen. Dazu kam, dass seine Wunden wieder aufgeplatzt waren und warmes Blut an seinem Rücken herabfloss. Jedes Mal, wenn er sich bewegte, gab es ein schmatzendes Geräusch auf dem Holz.
    Bedford kicherte humorlos. »Wenn Ihr über die Geschichte Eures so genannten Heimatlandes Bescheid wisst, Matheson, dann wird Euch gefallen, was wir mit Euch vorhaben. Als Euer König James I. - ich sage bewusst >Euer König<, denn er war nur König von Schottland - 1437 ermordet wurde, richtete man einen der an der Verschwö-rung gegen ihn Beteiligten auf eine ganz besonders erfinderische Weise hin. Eiserne Zangen wurden erhitzt, bis sie glühten, dann riss man ihm damit das Fleisch stückweise aus dem Leib. Zu guter Letzt setzte man ihm eine rot glühende Eisenkrone aufs Haupt. Ein passendes Ende für einen Mann, der seinen König verraten hat, findet Ihr nicht? Und Ihr werdet sein Schicksal teilen, denn Ihr seid gleichfalls ein Verräter an Eurer Königin. Also werdet Ihr sterben.«
    Dylan zwinkerte verwirrt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er keinen Gedanken an Königin Anne, an James oder an sonst wen, der gerade an der Macht war oder an die Macht gelangen wollte, verschwendet. Seine Gedanken kreisten einzig und allein darum, wie er die furchtbaren Schmerzen lindern konnte.
    Der Dragoner brachte die Schale mit den glühenden Kohlen heran und stellte sie so ab, dass Dylan sie sehen konnte. Jetzt erkannte Dylan, dass es sich bei dem eisernen Ding, das darin steckte, um eine primitive Zange handelte. Das Blut begann in seinen Ohren zu rauschen, und wie aus weiter Ferne hörte er sich selbst stöhnen: »Nein, bitte nicht. Das nicht.« Nicht mehr lange, und er würde zu schreien beginnen und nie wieder aufhören. Krampfhaft rang er nach Luft. Der Geruch glühender

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