Vogelwild
fehlte auf den
ersten Blick jede Spur.
Morgenstern stoppte, stellte den Motor ab und drehte
sich zu Maier um: »So, da wären wir also. Haben Sie uns vielleicht noch
irgendetwas zu sagen, etwas, was Sie bisher, weshalb auch immer, vergessen
hatten?« Er fixierte den Studenten so intensiv, wie er nur konnte.
Hecht schloss sich, ebenfalls mit stechendem Blick,
an: »Ihre Freunde werden hier wohl kaum nach einem Archaeopteryx suchen. Nun
ist die Chance, Ihrem Herzen Luft zu machen! Was geht hier ab?«
Maier atmete tief ein und aus, woraufhin Morgenstern
das ultimative Argument einfiel: »Denken Sie an Ihren Vater! Was immer hier
passiert ist, es wird ihm nicht gefallen. Indem Sie uns helfen, können Sie
wenigstens ein bisschen von Ihren Dummheiten wiedergutmachen.«
Das hatte gesessen. Maier senkte den Kopf, und
Morgenstern befürchtete schon, er würde wieder in Tränen ausbrechen. Dieser
junge Mann hatte für seinen Geschmack entschieden zu nah am Wasser gebaut. Doch
entgegen seiner Vorahnung nahm sich der Student zusammen und sagte: »Hier sucht
niemand nach einem Archaeopteryx. Solange ich dabei war, ist es immer nur darum
gegangen, den Archaeopteryx zu vernichten.«
»Sie meinen, ihn kaputt zu machen?«, fragte Hecht
ungläubig.
Maier nickte. »Die Bibel sagt, dass es ihn nicht geben
kann, und deswegen muss er vernichtet werden. Da ist sich Professor Dr. Heine
völlig einig mit vielen seiner Kollegen in den USA .
Sie wissen vielleicht, dass er eine Weile dort gelehrt hat?« Morgenstern nickte
knapp, und Maier fuhr fort: »In Amerika glauben sie nicht so blind an Charles
Darwin wie wir hier in Europa. Bei uns beten doch alle Wissenschaftler die
Evolutionstheorie nach, und schon in jedem Schulbuch wird sie den Kindern
eingetrichtert. Das ist doch die reinste Gehirnwäsche. Die Kreationisten in
Amerika, die Freunde von Professor Heine, das sind die Wissenschaftler, die die
wirkliche Wahrheit vertreten. Mutige Menschen. Die nehmen es nicht so einfach
hin, wenn an den Fundamenten des Christentums gerüttelt wird.«
»Scheiße!«, rutschte es Morgenstern raus. »Die haben
Alis Urvogel dabei und wollen ihn zu Schotter machen!«
»Bisschen großer Aufwand, oder?«, gab Hecht zu
bedenken. »Viel leichter könnten sie ihn doch zu Hause mit dem Hämmerchen in
kleine Stücke klopfen. Dafür braucht man keine Riesenanlage wie die von
Jura-Schotter mit ihrem zweihundert Meter langen Förderband.«
Maier nickte: »Schon, aber es war immer klar, dass,
wenn wir einen Archaeopteryx in die Hände bekommen sollten, die Vernichtung in
einem feierlichen Rahmen stattfinden muss. Aufgezeichnet mit Digitalkamera und
so. Jedenfalls war das Heines Meinung. Und Bernhard will den Film anschließend
ins Internet stellen. Der soll dann weltweit ein Renner werden.«
Fassungslos schüttelte Hecht den Kopf. »Die haben doch
allesamt einen Vogel!«
»Los, schnappen wir sie uns – mitsamt ihrem Urvogel«,
kommandierte Morgenstern. »Und Sie, Herr Maier, bleiben hier im Auto sitzen und
rühren sich nicht von der Stelle.« Mit besorgtem Blick wandte sich Morgenstern
an Hecht. »Sag mal, hast du deine Waffe dabei? Ich nämlich nicht.«
Aber Hecht schüttelte den Kopf: »Fehlanzeige. Die
liegt in Schrobenhausen im Schrank, zwischen meinen Unterhemden.«
»Das passt ja super, eine Pistole wäre schon nicht
schlecht gewesen. Wenigstens, um ein bisschen Eindruck zu schinden. Das ist die
einzige Sprache, die auch solche Irren auf Anhieb kapieren.«
»Aber hier ist doch eine Pistole!«, stellte Hecht
fest. »Hier, im Seitenfach.« Er deutete auf die Beifahrertür. »Ist aber ein
komisches Ding, nicht deine Dienstwaffe, oder?«
»Ach, das! Vergiss es, das ist ein Spielzeug, das
Bastian mal von einem Freund zum Geburtstag bekommen hat. Die Kinder wollen
immer ihre ganzen Sachen mit ins Auto nehmen, würde mich nicht wundern, wenn da
auch noch ein paar Holzschwerter und Pfeil und Bogen rumliegen.«
Hecht nahm die Waffe und wog sie prüfend in der Hand.
»Täuschend echt. Und sogar aus Metall! ›Made in Spain‹.« Er schaute Morgenstern
kritisch an: »Ich dachte, solche Nachbauten wären neuerdings in Deutschland
verboten?«
»Stimmt auch, aber die Kinder hängen dran. Was soll
man da machen?«
Entschlossen schob sich Hecht die Pistolenattrappe in
den Hosenbund. »Jedenfalls ist das besser als nichts. Dann halten wir jetzt mal
Ausschau nach unseren Vogelfreunden. Die werden Augen machen, wenn wir hier
plötzlich auftauchen.«
Morgenstern und
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