Vogelwild
Fossilien
klaut. Von Mord und Totschlag wollen wir erst gar nicht reden«, fügte Hecht
hinzu. »Und wenn Sie mal genauer in Ihrer Bibel nachlesen würden, dann werden
Sie auch dazu ein paar Regeln finden, an die sich ein guter Christ halten
muss.«
»Mord und Totschlag?« Maier wirkte ehrlich überrascht.
»Was meinen Sie damit? Wollen Sie meinen Freunden irgendetwas anhängen?«
»Von Anhängen kann keine Rede sein«, beschwichtigte
ihn Hecht. »Aber wir müssen wissen, was hier eigentlich im Detail passiert ist.
Haben Sie keine noch so kleine Vermutung, wohin Ihre Mitbewohner geflüchtet
sein können? Zu wem sie Kontakt haben?«
Morgenstern hatte einen Geistesblitz: »Sie haben doch
hier bestimmt eine von diesen neumodischen DSL -Telefonanlagen,
die über Computer laufen?«
»Aber logisch.«
»Da kann man doch nachprüfen, mit wem in letzter Zeit
telefoniert wurde, oder?«
»In der Telefonliste? Kein Problem. Unser
Festnetzanschluss hier in der WG läuft sowieso
über mich, weil ich mit meinem Bafög ein regelmäßiges Einkommen habe.«
»Wunderbar, dann mal ran an den Computer«, befahl
Morgenstern.
Sie gingen in Maiers Zimmer, ein irritierend
schmuckloser und kleiner Raum, der in Morgenstern Assoziationen an eine
Gefängniszelle wachrief. Oder an die unpersönliche Vier-Mann-Stube, in der er
während seiner Ausbildung in der Kaserne der Bereitschaftspolizei hatte wohnen
müssen. Neben dem sorgfältig aufgeschüttelten Bett stand ein weiß lackiertes
hölzernes Nachtkästchen, auf dem ein einzelnes Buch lag. Daneben gab es einen
kleinen Schrank, ein karg bestücktes Bücherregal und einen Schreibtisch mit
einem Computer, einigen Stiften und einem perfekt parallel zur Tischplattenkante
abgelegten DIN-A 4-Block. Über dem Bett hing ein Foto, auf dem ein alter, bärtiger
Kapuzinerpater zu sehen war. Komplettiert wurde die spartanische Einrichtung
durch ein großes Kreuz an der gegenüberliegenden Wand, an dem ein lebensecht
dargestellter, über und über blutverschmierter Christus hing.
»Schön haben Sie’s hier«, sagte Morgenstern höflich,
während Maier den Computer hochfuhr. Er dachte an das Schlafzimmer von Carola
Messmer in Mörnsheim, das genauso unpersönlich eingerichtet gewesen war.
Richtig: Auch da hatte ein Buch neben dem Bett gelegen, eine Bibel. Es dauerte
eine halbe Ewigkeit, bis die Telefonliste endlich auf dem Bildschirm erschien.
»Dann wollen wir mal sehen, ob uns das weiterhilft.
Drucken Sie uns die Liste doch auf jeden Fall aus«, ordnete Hecht an.
Morgenstern war bereits dabei, die endlose Kolonne aus
Zahlenkombinationen zu studieren. »Aha, immer wieder dieselbe Eichstätter
Nummer mit der 93 vorne. Dahinter verbirgt sich bestimmt die Freundin von einem
von Ihnen, oder? Ja, ja, die Liebe …«
»Für uns gibt es keine Frauen«, stellte Maier nüchtern
klar. »93, so beginnen alle Telefonnummern der Universität.«
»Und drei Mal darf ich raten, wem dieser Anschluss
wohl gehört«, sagte Hecht. »Versuch Nummer eins: Theologieprofessor Heine?«
»Hundertprozentig sicher bin ich mir nicht, aber ich
habe ein Vorlesungsverzeichnis da.« Maier kramte in seinem Regal und zog eine
orangefarbene Broschüre heraus. Nach kurzem Blättern sagte er: »Stimmt genau.
Die ist von Professor Heine.«
»Das hätten Sie auch so gewusst, Herr Maier«, meinte
Morgenstern kühl. »Stellen Sie sich in Zukunft nicht dümmer, als Sie sind. Wie
ich hier sehe, ist Heine telefonischer Stammgast bei Ihnen. Wenn Not am Mann
ist, ruft der sogar drei Mal am Tag an. Schau mal her, Peter, heute war er auch
schon zwei Mal am Rohr!« Morgenstern hielt inne. »Verdammt, heute!«, platzte es
dann aus ihm heraus. »Wann war das? 12.09 Uhr.« Der Kommissar schlug sich
mit der flachen Hand an die Stirn. »Peter, der hat unmittelbar hier angerufen,
nachdem wir sein Büro verlassen hatten. Die Tür war noch nicht mal hinter uns
ins Schloss gefallen, da hat er hier schon Alarm geschlagen, dass wir kommen.«
Hecht nickte. »So eine linke Bazille. Da wundert es
mich auch nicht mehr, dass hier alle ausgeflogen sind. Bis auf Sie natürlich.«
Damit klopfte er Lars Maier freundschaftlich auf die Schulter.
Der Student schien dankbar für das Lob zu sein,
jedenfalls beschäftigte er sich nun ebenfalls eifrig mit der Liste. »Sehen Sie
mal hier: Der Heine hat gleich danach noch einmal angerufen. Um 12.17 Uhr.
Das ist der letzte Anruf, hier, ganz unten.«
»Da hat er es wohl mit der Angst zu tun bekommen, der
feine Herr
Weitere Kostenlose Bücher