Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
nächster Nähe zu treffen. Zweitens hielt ich es für eine Schande, dass so viele Tiere abgeschossen wurden. Wenn eine Buschantilope vor mir stehen blieb, im nächsten Augenblick jedoch schon wieder fortsprang, saß ich nur da und betrachtete sie, bewunderte ihre schlanke, geschmeidige Gestalt und war ganz hingerissen von der anmutigen Schönheit des Tieres, während mein Gewehr nur nutzlos hinter dem Sattelknauf steckte.
Der eingeborene Junge, der mir als Gewehrträger diente, vermutete allmählich, dass ich absichtlich nicht auf die Tiere schoss, und er ließ heimlich immer wieder höhnische Bemerkungen über meine Unmännlichkeit fallen. Ich war noch jung, und daher lag mir selbst die Meinung eines unerfahrenen eingeborenen Burschen am Herzen, was natürlich höchst albern war. Aber seine Anspielungen hatten mich in meinem Stolz verletzt, und eines Tages warf ich ihn von seinem Pferd und prügelte auf ihn ein, bis er um Gnade flehte. Von da an wurde mein Verhalten nicht mehr infrage gestellt.
In Gegenwart des Fetischmannes fühlte ich mich jedoch noch immer unterlegen. Es gelang mir nicht, die anderen Eingeborenen dazu zu bringen, mir von ihm zu erzählen. Alles, was ich von ihnen bekam, war ein ängstliches Augenrollen, angsterfüllte Gesten und die vage Auskunft, der Fetischmann lebe unter den Stämmen, die sich tief im Landesinneren angesiedelt hatten. Alle schienen sich darüber einig zu sein, dass man Senecoza am besten in Ruhe ließ.
Ein Ereignis ließ das Geheimnis um den Fetischmann jedoch eine recht düstere Wendung nehmen.
In Afrika verbreiten sich Nachrichten auf mysteriösen Wegen, und die Weißen erreichen Neuigkeiten nur sehr selten, aber dennoch erfuhren wir, dass Senecoza und einer der weniger bedeutenden Häuptlinge in Streit geraten waren. Die Neuigkeiten waren nur sehr ungenau und entbehrten allem Anschein nach einer soliden faktischen Grundlage. Kurze Zeit später wurde besagter Häuptling jedoch gefunden – halb von Hyänen zerfleischt. Dies war an sich nicht sonderlich ungewöhnlich, aber die Angst, die die Eingeborenen zeigten, als sie davon erfuhren, war es durchaus. Der Häuptling bedeutete ihnen nichts; eigentlich war er sogar ein ziemlicher Halunke gewesen. Dennoch versetzte sein Tod die Leute in solche Angst und solchen Schrecken, dass sie beinahe gemeingefährlich wurden. Wenn naive Völker von einer solch unseligen Furcht erfasst werden, sind sie nicht minder gefährlich als ein in die Enge getriebener Panther. Als Senecoza uns das nächste Mal aufsuchte, sprangen die Schwarzen allesamt erschrocken auf und flohen. Sie kehrten erst zurück, nachdem er wieder gegangen war.
Es schien mir, als bestehe eine versteckte Verbindung zwischen der Angst der Schwarzen, der Tatsache, dass der Häuptling in Stücke gerissen worden war, und dem Fetischmann – ich konnte sie nur noch nicht recht greifen.
Nicht viel später wurde diese Vermutung durch einen erneuten Vorfall verstärkt. Ich war, begleitet von meinem Diener, weit auf die Steppe hinausgeritten. Als wir in der Nähe eines kleinen Hügels Rast machten, um unseren Pferden etwas Erholung zu gönnen, sah ich dort eine Hyäne stehen, die uns beobachtete. Ziemlich überrascht – diese Tiere sind nicht gerade dafür bekannt, dass sie sich tagsüber so unerschrocken und nahe an Menschen heranwagen – erhob ich mein Gewehr und zielte, denn ich habe diese Biester schon immer gehasst. Mein Diener packte mich jedoch am Arm.
»Er nicht schießen, bwana! Nicht schießen!«, rief er hektisch aus und plapperte aufgeregt etwas in seiner Muttersprache, die ich jedoch nicht verstand.
»Was ist denn los?«, fragte ich ungeduldig.
Er plapperte unentwegt weiter und zog mich am Arm, bis ich endlich verstand, dass die Hyäne eine Art Götzentier war.
»Oh, schon gut«, gab ich schließlich nach und ließ mein Gewehr sinken. Die Hyäne wandte sich ab und trottete aus unserem Blickfeld.
Irgendetwas an diesem hageren, abstoßenden Biest und seinem torkelnden, aber dennoch anmutigen, geschmeidigen Gang, empfand ich als äußerst amüsant, sodass mir ein alberner Vergleich einfiel.
Lachend zeigte ich auf das Tier: »Dieses Viech sieht wie die Hyänen-Version von Senecoza, dem Fetischmann, aus.«
Durch diese simple Bemerkung schien die erniedrigende Furcht des Eingeborenen noch größer zu werden als zuvor. Er wendete sein Pony, sah sich noch einmal mit angsterfülltem Gesicht zu mir um und ritt blitzschnell in die Richtung der Ranch
Weitere Kostenlose Bücher