Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
darauf spucken – und Frieden finden.«
Kulrek und sein Kumpan stachen bei Sonnenaufgang zu einer langen Reise in See, und Moll kehrte wieder in ihre Hütte zurück und sammelte weiter Muscheln. Sie schien immer dürrer und grimmiger zu werden, und in ihren Augen schimmerte ein beinahe wahnsinniger Glanz. Die Tage verstrichen, und die Menschen raunten sich zu, Molls Tage seien bald gezählt, denn nach einiger Zeit war sie so bleich wie ihr eigener Geist. Sie blieb jedoch unbeirrt und lehnte jegliche Hilfe ab.
Es war ein kurzer, kühler Sommer, sodass der Schnee auf den kahlen Hügeln im Landesinneren nie schmolz, was sehr ungewöhnlich war und zu zahlreichen Bemerkungen der Dorfbewohner führte. Moll ging bei Sonnenaufgang und -untergang zum Strand, blickte zum glitzernden Schnee auf den Hügeln hinüber und mit erbitterter Eindringlichkeit hinaus auf das Meer.
Schließlich wurden die Tage wieder kürzer, die Nächte länger und dunkler, die kalte graue Brandung brach auf dem trostlosen Strand und der schneidende Ostwind brachte Regen und Graupel.
Eines düsteren Tages segelte ein Handelsschiff in die Bucht und ging dort vor Anker. Sämtliche Taugenichtse und Herumtreiber strömten zum Kai, denn mit diesem Schiff waren John Kulrek und Lügenmaul Canool aufs Meer gefahren. Lügenmaul kam die Landungsbrücke herunter, noch verstohlener als sonst, aber John Kulrek war nicht zu sehen.
Auf die Fragen, die man ihm zurief, antwortete Canool mit einem Kopfschütteln. »Kulrek ist in einem Hafen in Sumatra von Bord gegangen«, antwortete er. »Er hat sich mit dem Skipper gestritten, Leute. Er wollte, dass ich mit ihm komme, ich wollte aber nicht! Ich wollte euch feine Kerle schließlich wiedersehen, was, Jungs?«
Lügenmaul Canool kroch beinahe über den Steg und wich erschrocken zurück, als Moll Farrell durch die Menschenmenge auf ihn zukam. Für einen Augenblick standen sie einander gegenüber, dann verzogen sich Molls Lippen zu einem schrecklichen Grinsen.
»An deinen Händen klebt Blut, Canool!«, warf sie ihm plötzlich entgegen – so plötzlich, dass Lügenmaul zusammenzuckte und sich mit der rechten Hand den linken Ärmel rieb.
»Geh’ zur Seite, du Hexe!«, knurrte er zornig und lief durch die Menschenmenge, die ihm den Weg frei machte. Seine Bewunderer folgten ihm zur Taverne.
Ich erinnere mich noch daran, dass es am folgenden Tag noch einmal kälter wurde. Von Osten trieben graue Nebel herein, die das Meer und die Strände verhüllten. An diesem Tag segelte kein Schiff hinaus, und so hielten sich sämtliche Dorfbewohner in ihren gemütlichen Häusern auf oder tauschten in der Taverne Geschichten aus. So kam es, dass mein Freund Joe, der in meinem Alter war, und ich Zeugen der seltsamen Ereignisse wurden, die sich an jenem Tag zutrugen.
Leichtsinnig und ahnungslos, wie Jungs nun einmal sind, saßen wir in einem kleinen Ruderboot und trieben am Rand des Kais im Wasser. Wir zitterten beide und wünschten uns, der andere möge zuerst vorschlagen, wieder heim zu gehen, denn es gab ohnehin keinen Grund, weshalb wir überhaupt dort sein sollten – außer, dass es ein guter Ort war, um ungestört Luftschlösser zu bauen.
Plötzlich hob Joe die Hand. »Sag mal«, fragte er, »hörst du das auch? Wer ist denn an so einem Tag draußen in der Bucht?«
»Niemand. Was hast du denn gehört?«
»Ich habe Ruder gehört. Oder ich will eine Landratte sein. Hör’ doch mal.«
In dem dichten Nebel war nichts zu erkennen. Ich hörte auch nichts. Joe schwor jedoch, er habe etwas gehört, und plötzlich legte sich ein merkwürdiger Ausdruck auf sein Gesicht.
»Wenn ich’s dir doch sage, da draußen rudert jemand! Das Geräusch erfüllt die ganze Bucht bis hinaus zur Meerenge! Zwanzig Boote mindestens! Hörst du immer noch nichts, du Trottel?«
Als ich nur den Kopf schüttelte, sprang er auf und machte die Leine los.
»Ich fahre hinaus und sehe nach. Wenn die Bucht nicht voller Boote ist, dicht an dicht wie bei einer Flotte, dann kannst du mich einen Lügner nennen. Bist du dabei?«
Natürlich war ich dabei, auch wenn ich noch immer nichts vernahm. So fuhren wir hinaus ins Grau. Der Nebel umschloss uns von allen Seiten, sodass wir uns in einer verschwommenen Welt aus Rauch befanden, in der wir nichts sehen oder hören konnten. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir uns verirrt. Ich verfluchte Joe dafür, dass er uns auf diese sinnlose Unternehmung geführt hatte, die gewiss damit enden würde, dass wir aufs Meer
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