Voll erwischt
Mann. Er war überhaupt nicht wie Norman. Er trug eine weiche Lederjacke über einem T-Shirt, und die Baseballmütze hatte er sich schräg auf den Kopf gesetzt, den Schirm über dem rechten Ohr. Er war sehr dünn, hatte lange Beine und ein weiches, feminines Gesicht. Er war kein richtiger Mann, zumindest nicht, was Janet einen Mann nennen würde. Sie wäre nicht weiter überrascht zu erfahren, daß jemand wie er andere Jungs bevorzugte. Warum glotzte er sie also so an? Wahrscheinlich weil sie obenrum nichts hatte. Vielleicht hielt er sie für einen Jungen.
Danach verlor sie ihn fast eine Stunde aus den Augen, auch wenn sie immer noch vermutete, daß er irgendwo in der Nähe war. Wenn sich bei Männern erst mal Sex im Kopf festgesetzt hatte, lungerten sie entweder eine Ewigkeit schnüffelnd herum oder blieben, bis sie bekommen hatten, was sie wollten. Danach lief’s dann genau andersherum, dann mußte man sie ewig suchen. Doch sie sah ihn erst wieder, als sie schon fast zu Hause war. Sie hatte den neuen Fußweg am Bach entlang genommen, weit ab von den Trampelpfaden der Touristen, und auch die Einheimischen benutzten ihn kaum, höchstens mal ein paar Kids auf ihren Fahrrädern. Also konnte er sich nirgends verstecken. Er blieb ein gutes Stück zurück, aber Janet hatte auch nicht den geringsten Zweifel, daß dieser merkwürdige junge Mann ihr folgte.
Vielleicht war er derjenige welcher, der Mörder, der Killer, der all diese Morde in der Stadt begangen hatte? Auch wenn sie das nicht wirklich glaubte. Er bestand ja nur aus Haut und Knochen. Er strahlte keinen echten Kampfgeist aus. Trotzdem war’s besser, sich in Sicherheit zu bringen, als es später zu bedauern. Janet schlüpfte durch eine Gasse zwischen zwei Häusern und erreichte ihre Wohnung von hinten. Der Junge, falls er ein Mörder oder Perverser war, jemand, der auf Frauen ohne Brüste stand, was immer er auch war, er hatte sie jedenfalls verloren - genau wie sie ihre geliebte Tabitha verloren hatte.
«Was ich machen werde», sagte Norman, «direkt morgen, ich werd mir eins von diesen Telefonen besorgen. Du weißt schon, so eins ohne Stecker.»
«Ein Handy», sagte Janet. Sie schaute zu, wie er sich aus seiner Jacke schälte. Er hatte draußen das Taxi bezahlt und war den Weg zum Haus heraufgekommen. Er hatte nicht Hallo gesagt. Er war reingekommen und hatte seine Bekanntmachung über den Erwerb eines Handys von sich gegeben.
«Ja», sagte sie. «Ich hatte einen phantastischen Tag. Bin zum Mittagessen aus gewesen. Wie steht’s mit dir?»
Norman sah sie an. Er hatte gehofft, sie wäre bei seiner Rückkehr wieder besser drauf, aber sie hatte immer noch irgendwas. «Ganz okay», sagte er. «Hab getan, wofür ich bezahlt werde.»
«Hast du Tabitha mitgenommen?»
Norman mußte sie zweimal ansehen. Wußte sie Bescheid? Er glaubte es nicht. «Tabitha?» sagte er. «Die Katze?»
«Ja», sagte Janet. «Sie ist seit gestern verschwunden. Ich dachte, sie wäre vielleicht versehentlich im Wagen eingeschlossen worden.»
«Nein», sagte er geistesabwesend. «Ich hab sie nicht gesehen.» Er ging in die Küche, hockte sich vor den offenen Kühlschrank und starrte hinein, um zu sehen, ob ihn irgendwas reizen konnte.
Janet war traurig. Wenn Tabitha nicht bei Norman war, dann mußte sie tot sein. Sie würde nie einfach so verschwinden oder von zu Hause weglaufen. Sie mußte getötet worden sein. Janet wußte, daß sie sie nie Wiedersehen würde. Sie spürte, wie ihr die Gesichtszüge entgleisten und sich mehrere heiße Tränen aus ihren Augen lösten und über die Wangen rollten. Doch sie fand die Beherrschung schnell wieder und tupfte sofort ihre Augen ab. Norman würde sauer, wenn sie jetzt weinte. Es würde alles nur noch schlimmer machen.
«Muß wohl dieser Junge gewesen sein», sagte sie, als Norman aus der Küche zurückkehrte. Er hatte eine feuerfeste Glasschüssel mit etwas kaltem Reis und Möhren in der Hand und aß mit einem Löffel. Es war der falsche Löffel. Diesen Löffel reservierte Janet für die Katzen. «Muß einer dieser Sadisten gewesen sein. Die stehlen den Leuten ihre Haustiere und foltern sie zu Tode.»
Norman deutete mit dem Löffel auf seine prall gefüllten Wangen und riß die Augen auf. Er meinte damit, er habe den Mund voll und könne nicht sprechen, ohne den Reis über den ganzen Boden zu verteilen. Janet nickte als Zeichen, daß sie ihn verstand. Sie hatte mal im Fernsehen eine Sendung über Kinder gesehen, die Katzen quälten. Es
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