Voll erwischt
hing.
Irgend etwas war da vorne und sprang in ihr Blickfeld.
Janet erhob sich vom Sofa und ging zu dem Stuhl. Sie hob die Jacke hoch und untersuchte sie sorgfältig. Sie klaubte ein kupferrotes Haar von der Vorderseite, weit unten, neben der rechten Tasche. Sie sah die Jacke wieder an. Nach einem Augenblick klaubte sie ein weiteres kurzes kupferrotes Haar von weiter unten auf dem linken Revers.
Norman hatte keine kupferroten Haare.
Kein Mensch hatte kupferrote Haare. Das hier waren Tabithas Haare. Janet ging mit den Haaren zurück zum Sofa und zeigte sie Venus und Orchid.
«Warum?» fragte sie die zwei Katzen. «Warum sollten Tabithas Haare auf Normans Jacke sein?»
Weder Venus noch Orchid sagten ein Wort. Sie wußten, was sie wußten.
Janet dachte an ihre Mutter. Sie dachte nur selten an ihre Mutter, dachte lieber nicht an sie. Normalerweise geriet Janet in Panik, wenn sie an ihre Mutter dachte. Aber dieses Mal geriet sie nicht in Panik, weil nämlich der Gedanke, den sie über ihre Mutter dachte, eigentlich gar kein wirklicher Gedanke war. Es war eher so etwas wie ein Bild, ein sich bewegendes Bild.
Es war eine Erinnerung.
Normalerweise waren es negative Erinnerungen, die Janet an ihre Mutter hatte. Schmerzhaft. Beunruhigend. Aber diese Erinnerung war anders. Sie war positiv.
Ihre Mutter stand vor dem Herd. Es war Winter. Es war Advent. Ein paar Tage vor Weihnachten. Janets Mutter war glücklich. Auf ihrem Gesicht lag dieses sanfte Lächeln, das nur ein- oder zweimal im Jahr dort auftauchte. Dieses Lächeln, bei dem alles in Ordnung zu sein schien.
Janet war zwölf. Vielleicht auch erst elf. Sie war von der Schule nach Hause gekommen, und ihre Mutter hatte sie gebeten, in der Küche zu bleiben. Sie hatten sich eine Weile unterhalten. Janets Mutter wollte wissen, wie ihre Tochter den Tag verbracht hatte. Außerdem wollte sie ihrer Tochter erzählen, was sie gemacht hatte und was sie gedacht hatte.
Dann sagte sie die eine Sache, an die Janet sich jetzt erinnerte. Die Erinnerung.
Es war nicht wie eine Erklärung, eigentlich nicht mal wie ein guter Rat. Es war eine beiläufige Bemerkung. Etwas, das einem so herausrutschte. Sie sagte: «Männer sind zum Lügen geboren, und Frauen, um ihnen zu glauben.»
Und Janet hatte das alles völlig vergessen. Seit diesem Tag hatte sie bis heute nicht mehr daran gedacht. Aber jetzt erinnerte sie sich wieder.
Kapitel 30
Sam hatte keinen Termin bei Rechtsanwalt George Forester, also mußte er warten. Forester führte gerade ein Gespräch mit einem anderen Mandanten, der daran gedacht hatte, vorher einen Termin zu vereinbaren. Diese Information erhielt Sam von Foresters Sekretärin, einer Dame unbestimmten Alters mit vorbildlichem und zugleich furchterregendem Auftreten und strenger Frisur. Sie repräsentierte eindeutig alte Schule. Als sie Sam sagte, er möge sich doch bitte setzen, bestand daran niemals ein Zweifel. Er setzte sich. Aber er setzte sich nicht nur, sondern er setzte sich auch exakt dorthin, wohin die Dame ihn dirigierte. Bei seinem ersten Besuch in dieser Kanzlei hatte er sich hin und her rutschend auf dieser Bank wiedergefunden, war ein Stück nach rechts, ein Stück nach links gerutscht, bis er sicher war, daß die Sekretärin mit seiner Haltung zufrieden war.
So bedroht hatte er sich seit seinem ersten Schultag nicht gefühlt.
Die letzten paar Besuche in Foresters Kanzlei war er kühner gewesen, hatte sogar versucht, ihr ein Lächeln zu entlocken. Aber diese Versuche waren dennoch eher kläglich und nicht von Erfolg gekrönt.
Nachdem sie ihn auf der Bank plaziert hatte, widmete sie sich wieder ganz ihrer riesigen Schreibmaschine. Sie hatte das Monstrum schräg auf gestellt, so daß sie die Bank mit einem Auge immer im Blick behalten konnte, während sie ihre Verträge und Korrespondenz tippte. Ihre Bluse, falls man das so nannte, war gigantisch und so steif gestärkt wie eine Tischplatte. Sie war sauberer als die Phantasie einer Nonne. An diesem Punkt kam Sam für gewöhnlich nicht weiter. Er wußte nur eines mit Sicherheit, nämlich daß er sie niemals zu seiner Geburtstagsparty einladen würde.
Schließlich kam Forester zu seiner Rettung, auch wenn er in der Verkleidung des zerstreuten Rechtsanwalts aus seinem Büro trat. Er sah immer so aus, als verkneife er sich einen Furz. Er wirkte stets verwirrt, was vermutlich genetisch bedingt war. Aber Sam hatte den leisen Verdacht, daß er all das bewußt einsetzte, um sein Personal und seine
Weitere Kostenlose Bücher