Voll erwischt
Blut. Paar Minuten später konnte er nicht mal mehr das. Was gibt’s da vorzustellen?» Orchid schob sich wieder an Normans Bein und schnupperte. Norman hob die Katze am Genick hoch und ließ sie auf einen Sessel fallen.
Janet begann zu weinen. Sie warf sich in einen Sessel und ließ dicke Tränen über ihre Wangen kullern.
«Was ist denn jetzt wieder?» fragte Norman.
«Ich bin sauer», sagte sie zwischen zwei Schluchzern. «Sie werden so wütend, und dabei hab ich doch gar nichts gemacht. Vorhin dachte ich schon fast, wir kämen irgendwie einigermaßen klar. Als wir über John Lennon geredet haben. Hätten uns echt was zu sagen. Und dann werden Sie sauer. Ich hab überhaupt nichts gemacht. Ich wollte nur nett zu Ihnen sein.»
Norman griff ihre Hände und zog sie auf die Füße. Er nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. «Ist schon okay», sagte er mit ruhiger, sanfter Stimme. «Du hast gedacht, ich wär sauer, aber das hört sich nur so an. Ich hatte alles in allem einen ziemlich beschissenen Tag. Und ich werd langsam müde.» Er schob sie auf Armeslänge von sich und sah sie an. Sie versuchte, durch ihre Tränen zu lächeln.
«Mit Frauen haben Sie nicht viel zu tun, richtig?» fragte sie.
Norman schüttelte den Kopf. «Nein», sagte er. «Überhaupt nicht.» Er ließ ihre Arme los und nahm den Lippenstift aus der Tasche. Gab ihn ihr.
«Sie sehen ihm ein bißchen ähnlich», meinte sie. Sah von Norman zum Poster und wieder zu Norman. «Die Augenpartie.»
Norman legte ein süffisantes Grinsen auf. «Findest du?» fragte er so bescheiden wie möglich.
«Er wußte, daß er sterben würde», fuhr Janet fort. «Noch einen Tag vorher hat er darüber gesprochen, ja er kannte sogar den Namen von diesem Burschen, der ihn umlegen würde. Muß wohl Prädestination gehabt haben, oder wie das heißt, Sie wissen schon, bevor es dann wirklich passiert? Ich hab das auch manchmal, viele Frauen spüren’s, vor ihrer Periode. Es überkommt mich einfach, etwas wird passieren: Zum Beispiel will ich einen Brief bekommen oder irgendwer verliert einen Zwanziger, und den find ich dann. Und eh ich mich verseh, kommt auch schon der Briefträger angetrabt, und da ist dann der Brief.
Er hieß John Winston Ono Lennon, wegen Yoko, seiner Frau, er hat ihren Namen angenommen, und er hat Brot gebacken und sich um seinen Sohn gekümmert.»
«Kein Scheiß?» sagte Norman. «Ich dachte, er gehörte zu den Beatles?»
«Das war vorher», antwortete Janet. «Irgendwas ist passiert. Aber er war ein netter Mann.»
«Deine Periode», sagte Norman. «Hast du die jetzt?»
«Nein», erwiderte Janet. «Ich habe keine Periode. Schon Jahre nicht mehr.» Danach sagte sie eine ganze Weile nichts und schien ihren Gedanken nachzuhängen. «Haben Sie Hunger?» fragte sie schließlich. «Soll ich Ihnen was zu essen machen?»
«Später», antwortete er. «Zuerst will ich dich ficken.»
Kapitel 15
Geordie verließ Woolworths durch einen anderen Ausgang, vermied es, denselben zu benutzen wie Norman, weil er immer noch vor der Tür stand, durch die er gerade gegangen war, und dem Mädchen einheizte, dem er nach draußen gefolgt war. Norman hielt das Mädchen am Arm. Es war ein fester Griff, und sie wehrte sich, versuchte, ihn abzuschütteln. Norman machte ein starres, grimmiges Gesicht. Er würde sie auf gar keinen Fall wieder loslassen. Das Mädchen brüllte nicht laut los, aber sie war ganz offensichtlich alles andere als begeistert von der Art und Weise, wie Norman sie behandelte. Geordie schaute zur anderen Straßenseite hinüber und sah, wie Gus ein, zwei Schritte vortrat. Die Stimme in seinem Ohrhörer sagte: «Was zum...?» Geordie entfernte sich von Norman Brown und dem Mädchen, wobei er sich fragte, ob er vielleicht zurückgehen und versuchen sollte, die zwei zu belauschen.
«Bleib, wo du bist», sagte Gus aus dem Ohrhörer. «Und halt dich raus.» Wie üblich las Gus Geordies Gedanken.
Geordie dachte gar nicht wirklich daran, sich in den Streit zwischen Norman Brown und diesem Mädchen einzumischen. Wie immer, wenn er sich einem potentiellen Ausbruch von Gewalttätigkeit gegenübersah, war auch jetzt sein stärkster und drängendster Impuls die Flucht. Soviel wie möglich Abstand zwischen sich und die Gewalt bringen. Wenn Geordie an die Vergangenheit dachte, konnte er sich an gar nichts anderes als an Gewalt erinnern. Er dachte oft an die Vergangenheit, weil sie stets wie ein massives Gewicht präsent war und ihn
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