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Voll Speed: Roman (German Edition)

Voll Speed: Roman (German Edition)

Titel: Voll Speed: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
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vermute ich. Offenbar ein klassischer Fall von Lampenfieber. Rocky geht es ganz ähnlich, wenn er vor Publikum reden soll. Ist bei ihm aber kein Lampenfieber, sondern Unvermögen. Deshalb regelt mein großer Bruder die Dinge am liebsten unter vier Augen.
    Phil hat zu schwitzen begonnen, was definitiv nicht an der Herbstsonne liegen kann. Lincoln steht unbeweglich da und lässt den Blick in die Ferne schweifen, als würde ihn das alles hier nichts angehen.
    Während die Sekunden zäh und zäher verstreichen, komme ich zu dem Schluss, dass mein Partner Hilfe braucht. Wäre Phil nicht gerade von seinem Lampenfieber wie gelähmt, würde er den Bestatter vermutlich bitten, ihn kurz allein zu lassen. Das muss ich wohl jetzt erledigen.
    Ich schlüpfe aus Phils Umhängetasche, flitze den Weg entlang bis zu einem besonders gepflegten Grab und rufe: »Lass dir Zeit, Partner! Ich kümmere mich um Abraham Lincoln.« Dann beginne ich, das Grab umzupflügen, wobei ich I feel for you von Chaka Khan anstimme, was der Bestatter aber nur als lautes Fiepen eines rattenähnlichen Tieres wahrnimmt. Ich habe den Song kürzlich mal bei einer Oldie-Disco in unserem Bau gehört, seitdem geht mir die Mucke nicht mehr aus dem Kopf.
    Lincoln blickt erschrocken in meine Richtung. Dann schnappt er sich sein Schippchen, bittet Phil, kurz allein weiterzumachen, und kommt auf mich zugerannt. Ich husche nun auf den Gehweg und warte geduldig auf meinen Verfolger, damit der mich einmal quer über den Friedhof jagen kann. Das dürfte Phil genug Zeit für seine letzten Worte an Boris verschaffen.
    Der Bestatter ist in ähnlich schlechter Form wie mein Partner. Mehrmals muss ich anhalten, damit Lincoln Luft schnappen kann. Schließlich habe ich ihn lange genug hingehalten, und nebenbei wird mir langsam auch langweilig. Ich verschwinde also durch die Gitterstäbe des Seiteneingangs, durch den wir eben gekommen sind.
    Während ich auf Phil warte, nehme ich ein Sonnenbad auf der Motorhaube. In der Seitenstraße ist kein Mensch zu sehen. Nicht nötig also, dass ich mich verstecke. Wohlig strecke ich alle viere von mir und lasse mich mit Licht und Wärme volllaufen. Erdmännchen sind von Natur aus sonnensüchtig. Ich glaube, das ist ein evolutionärer Ausgleich dafür, dass wir die meiste Zeit unseres Lebens unter der Erde verbringen.
    Als Phil erscheint, bin ich fast eingedöst.
    »Vielen Dank, dass du mir geholfen hast«, sagt er. »Aber ich wäre dir trotzdem verbunden, wenn du da runterkommen könntest. Der Lack ist sehr empfindlich, und bei diesem Modell gehen Reparaturen immer gleich ins Geld.«
    »Beides null Problemo«, erwidere ich und will mich lässig auf die Seite rollen, um über den Kotflügel butterweich zur Erde zu gleiten. Leider habe ich zu viel Schwung drauf. Als meine Hinterbeine plötzlich ins Nichts ragen, versuche ich instinktiv mit den Krallen meiner Vorderbeine auf dem Blech Halt zu finden. Mit einem schrillen Kreischen, das an den Ruf einer erkälteten Beutelmeise erinnert, schabe ich am Kotflügel entlang. Dabei hinterlassen meine Krallen acht unschöne Rillen im senfgelben Lack.
    »Sorry«, hüstele ich kleinlaut und wische meine Krallen verstohlen am Fell ab, um die Lacksplitter zu entfernen.
    Phil seufzt vernehmlich.
    »Immerhin hatte ich gerade noch eine Idee zum Fall Boris Kaufmann«, sage ich, als wir im Auto sitzen.
    Phil lenkt seinen Volvo in den zähfließenden Verkehr. »Was denn für ein Fall? Nach Lage der Dinge gibt es keinen Fall Boris Kaufmann.«
    »Schon klar«, gebe ich zurück. »Ich habe mich auch nur gefragt, ob Boris geahnt hat, dass du als Einziger zu seiner Beerdigung kommen würdest.«
    Phil wirft mir einen interessierten Blick zu. »Und? Was glaubst du? Hat er das geahnt?«
    »Ich weiß es nicht, aber falls es so war, dann hat er vielleicht versucht, dir eine Nachricht zu hinterlassen.«
    »Eine Nachricht«, murmelt Phil und überlegt angestrengt. »Wüsste nicht, wo die sein könnte.«
    Schade, denn hier endet meine Theorie auch schon. Weiter bin ich mit meinen Überlegungen beim Meditieren in der Sonne vorhin nämlich nicht gekommen.
    Wir schweigen und hängen unseren Gedanken nach.
    »Ihr ward doch Partner«, sage ich nach einer Weile. »Gab es da nicht Dinge, von denen nur ihr beide wusstet? Ich meine …«
    Ich komme nicht dazu, meinen Gedanken auszuführen, denn in diesem Moment reißt Phil das Steuer herum und biegt in eine Seitenstraße, wo er den Wagen abrupt zum Stehen bringt.
    »Fischstäbchen.«

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