Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
Allerdings sprechen doch wichtige Indizien dafür, dass in den nächsten Jahrzehnten wohl kaum mit einem grundlegenden Wandel der globalen Konstellation zu rechnen ist. Der Grund liegt in der gewaltigen Trägheit von Institutionen und ihrer Bewertung durch die Märkte im Vergleich zum Wirtschaftswachstum. Selbst wenn zum Beispiel alle asiatischen Schwellenländer radikale Reformen ihrer Institutionen voranbrächten – mit dem Ziel, die Glaubwürdigkeit und Stabilität zu steigern und damit Risiken im Auge der Kapitalmärkte zu mindern –, so wäre doch damit zu rechnen, dass es Jahrzehnte dauert, bis diese Weichenstellung auch von Kapitalmärkten entsprechend gewürdigt wird. Die Erfahrungen mit substanziellen und persistenten Zinsdifferenzen zwischen Industrieländern machen dies deutlich.
All dies schließt übrigens keineswegs aus, dass es – völlig unabhängig von der Entwicklung der Finanzinvestitionen – weiterhin einen kontinuierlichen Fluss von Direkt investitionen privater Unternehmen aus Industrienationen in Entwicklungs- und Schwellenländer gibt. Im Gegenteil, Direktinvestitionen, also der Aufbau eigener Produktionsstätten, dienen typischerweise dazu, vor Ort die Produktionsbedingungen so zu steuern, dass auf die spezifischen Bedingungen des lokalen Kapitalmarkts keine Rücksicht genommen werden muss. Soweit das Enteignungsrisiko für Produktionsstätten von Ausländern gering ist (der Normalfall in schnell wachsenden Schwellenländern!), sorgen sie also für eine Vermeidung gerade der Risiken, um die es hier geht. Es bleiben natürlich die üblichen Risiken und Nachteile der physischen Produktion im Ausland, und die sind in der Regel nicht gering, weshalb Direktinvestitionen unter normalen Umständen auch nur einen Bruchteil des Volumens erreichen, das bei Finanzinvestitionen üblich ist. Ausnahmen sind nur bei eng benachbarten Industrie- und Schwellenländern zu beobachten, wie etwa dem Südwesten der Vereinigten Staaten und dem Norden Mexikos.
Die Schlussfolgerung aus all diesen Überlegungen und Beobachtungen ist weitreichend. Sie lautet: Es ist offenbar für schnell wachsende Entwicklungs- und Schwellenländer viel schwieriger, den Kapitalmärkten Glaubwürdigkeit und Stabilität von Institutionen überzeugend zu vermitteln, als mit einer weltmarktorientierten Wirtschaftspolitik die Arbeitsproduktivität und damit die Pro-Kopf-Einkommen zu erhöhen. Insofern ist kaum zu erwarten, dass der zunehmende Sparwille der (alternden) Bevölkerung in den Entwicklungs- und Schwellenländern sich auf absehbare Zeit weg von ausländischen auf inländische Anlagen verlagert. Wohlgemerkt: Reformen zur Verbesserung der betreffenden Anlagemöglichkeiten in diesen Ländern werden weiter stattfinden und sind in vielerlei Hinsicht zu begrüßen. Dazu zählt – neben Aufwertungen der Währung, die im Einzelfall nötig sind – der Aufbau vertrauenswürdiger Börsen- und Kapitalmarktstrukturen sowie moderner sozialer Sicherungssysteme. Aber selbst wenn diese Reformen erfolgen, wird wahrscheinlich eine Neigung zu Leistungsbilanzüberschüssen und Kapitalexporten fortbestehen. Von den Entwicklungs- und Schwellenländern ist also kaum eine drastische Erhöhung ihrer Kapitalnachfrage auf den Weltmärkten zu erwarten.
Es bleiben die Industrieländer. Die Bevölkerung altert dort noch schneller als im Rest der Welt. Hinzu kommt, dass sie fast überall schrumpft. Es wird deshalb in den nächsten Jahrzehnten eher weniger an infrastrukturellem Investitionsbedarf geben als in früheren Jahrzehnten. Einzig die massiven Großprojekte in der Umstrukturierung der Energieversorgung, die in Deutschland (und vielleicht bald auch anderswo) geplant sind, ragen noch als große Infrastrukturvisionen heraus. Wegen ihrer singulären Bedeutung auch für andere Fragen der Entwicklung kommen wir noch gesondert und ausführlich in den Abschnitten 2.4 und 2.5 auf sie zu sprechen. Ansonsten ist jedenfalls nicht zu erkennen, wo ein massiver neuer Investitionsbedarf liegen könnte: Die Verkehrs- und Kommunikationsnetze sind im Wesentlichen vollendet, der Immobilienbestand ist ausreichend und physisch intakt, zumindest die Erstausstattung mit einer Vielzahl langlebiger Konsumgüter ist vorhanden. Was bleibt, sind die „üblichen“ Kapitalbedarfe der Wirtschaft. Es geht dabei um die permanenten Erhaltungs-, Renovierungs- und Erneuerungsinvestitionen sowie die Umsetzung von Innovationen in neue Verfahren und Produkte, die durch Forschung und
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