Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
an der Gesundheitsreform herumgepfuscht haben, bei Porsche in der Produktion gearbeitet hätten, dann wäre da kein einziger Porsche vom Band gegangen – mein Bild von Ministern in der täglichen Arbeitswelt kam bei Wahlkampfveranstaltungen immer besonders gut an. Den Managern, die staatliche Subventionen einstrichen, sich selbst Gehaltserhöhungengenehmigten und die Arbeitsplätze trotzdem ins Ausland verlagerten, empfahl ich mit wütender Stimme den Besuch von Anstandsseminaren. Das in meinen Augen skandalöse Beispiel von Nokia in Bochum war noch gegenwärtig. Dort wurden 88 Millionen deutscher Fördergelder eingestrichen, bevor der Konzern im Januar 2008 die Schließung bekannt gab. 2000 Menschen verloren ihre Arbeit, weil die Löhne in Rumänien, wo ein neues Werk eröffnet wurde, billiger waren. Dass Nokia sein Geschäftsjahr 2007 mit einem Rekordgewinn von 7,2 Milliarden Euro abgeschlossen hatte, wurde erst später bekannt. Heute steht Nokia durch Missmanagement am wirtschaftlichen Abgrund, das Werk in Rumänien übrigens wurde zwischenzeitlich auch geschlossen.
Am Ende meiner Wahlkampfrede gab ich zu, Angst zu haben. Nicht vor dem Ausgang der Wahlen, die erst in einem Jahr folgen sollten. Ich hatte Angst davor, dass sich dieses Land in eine Richtung veränderte, in der nur noch die Starken das Sagen haben und die Schwachen die Leidtragenden waren. Ich brüllte in den Saal, dass ich von einer solidarischen Gesellschaft träume, bevor der frenetische Jubel meine letzten Worte übertönte. Die Genossinnen und Genossen in Bammental jubelten mir zu. Wieder hatten meine einfachen, aber ehrlichen und klaren Worte ins Schwarze getroffen. Bei anschließenden Gesprächen bekam ich ein paar Mal zu hören, dass sich meine Zuhörer eine derart flammende Rede auch einmal aus Berlin gewünscht hätten.
2009 gab es sogar eine Strömung bei den Jusos, mich als Herausforderer von Ministerpräsident Oettinger in die baden-württembergischen Landtagswahlen zu schicken. Uwe Hück als Spitzenkandidat – das Ansinnen ehrte mich und ich brauchte auch nicht lange, um ein Wahlprogramm zu skizzieren, das ich für erfolgversprechend hielt. Ich hätte dieThemen Kinderarmut, das Ende des dreigliedrigen Schulsystems, die Stärkung des Mittelstandes und mehr Arbeitnehmer-Mitbestimmung in den Betrieben angepackt. Jedes Kind sollte das Recht auf ein kostenloses Mittagessen in der Schule haben und ich wollte mir eine Mannschaft zusammenstellen, die die Ärmel hochgekrempelt hätte. Wir hatten Schlaftabletten in der SPD! Es war der damalige Juso-Landeschef Roman Götzmann, der mich als Gegenspieler von Günther Oettinger ins Gespräch brachte. Auf einem Landeskongress in Ravensburg bedankte ich mich bei unserem Parteinachwuchs, gab allerdings auch den Zeitpunkt einer möglichen Nominierung zu bedenken. Ich hatte zwar im Wahlkampf deutlich Stellung bezogen, doch mein Hauptinteresse galt der Bundestagswahl 2009, nicht den Landtagswahlen 2011. Die SPD sollte erst noch beweisen, dass sie wieder zu mehr als 30 Prozent in Baden-Württemberg in der Lage war. Wir mussten schleunigst raus aus dem Tief. Trotzdem gab es Kreise in der SPD, die einer möglichen Spitzenkandidatur von mir kritisch gegenüber standen. Die Jusos hatten Umfragen im Südwesten durchgeführt, in denen ich vorne lag und das sorgte vor allem bei denen für Unmut, die sich selbst Hoffnungen auf einen Spitzenplatz machten: Nils Schmid, ein aufstrebender Jurist, der die Bildungspolitik in den Mittelpunkt rückte, Claus Schmiedel, SPD-Landtagsfraktionschef, sowie der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner. Das deprimierende Ergebnis von 25 Prozent für die SPD bei den Landtagswahlen 2006 lag mir immer noch im Magen und zu dieser Zeit traute ich der SPD einen Umschwung in Baden-Württemberg nicht zu. Der stärker werdende Unmut in der Partei richtete sich gegen die Landesvorsitzende Ute Vogt, die immer noch davon zu zehren schien, gegen Erwin Teufel von der CDU einmal 33 Prozent geholt zu haben. Daswaren goldene Erinnerungen an 2001, wir aber befanden uns 2009 in einem Superwahljahr mit der Europawahl, der Bundestagswahl, der Wahl des Bundespräsidenten sowie sechs Landtagswahlen, und ich hatte das ungute Gefühl, die SPD könne in eine Superpleite geraten. Trotzdem versprühte ich kämpferischen Optimismus, wo immer ich um meine Meinung gebeten wurde. Nicht selten wurde ich gefragt, ob die SPD noch zu retten sei und jedes Mal antwortete ich mit dem Bild eines roten Autos, das
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