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Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Vollendet - Der Aufstand (German Edition)

Titel: Vollendet - Der Aufstand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Shusterman
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Herrenhauses gebracht, den sie noch nie gesehen hat. Nicht einer, sondern gleich zwei Erwachsene begleiten sie. Vermutlich ist zumindest einer von ihnen bewaffnet. Sie bringen Miracolina in ein beheiztes Gewächshaus voller Pflanzen, dessen einstige Pracht wiederhergestellt wurde. Durch die gerundeten Scheiben scheint die Sonne und in der Mitte steht ein Mahagonitisch mit zwei Stühlen. Er sitzt schon auf einem der Stühle, er, das Objekt dieser grotesken Heldenverehrung. Miracolina setzt sich ihm gegenüber und wartet, dass er das Wort ergreift. Schon bevor er etwas sagt, merkt sie, dass er aufrichtig an ihr interessiert ist, dem einzigen schwarzen Schaf, das sich nicht überzeugen lässt.
    »Also, was ist los mit dir?«, beginnt er, nachdem er sie eine Weile angesehen hat. Die Unbekümmertheit, mit der er das fragt, verletzt sie. Ihre Haltung zu allem, was hier geschieht, lässt sich nicht einfach mit der Frage »Was ist los mit dir?« abtun. Sie will ihm ein für alle Mal klarmachen, dass ihr Widerstand begründet ist.
    »Bist du wirklich an mir interessiert, Klatscher, oder bin ich nur der Käfer, den du nicht unter deinem Eisenstiefel zerquetschen kannst?«
    Er lacht. »Eisenstiefel – das ist gut.« Er hebt den Fuß und zeigt ihr die Sohle seiner Turnschuhe. »In dem Profil könnte die eine oder andere platt getretene Spinne hängen, aber das dürfte auch alles sein.«
    »Wenn du die Daumenschrauben anziehen willst«, sagt sie, »bringen wir es hinter uns. Am besten, du lässt mich hungern oder dursten; Wasserentzug ist wahrscheinlich das Effektivste. Der Durst kommt vor dem Hunger.«
    Er schüttelt ungläubig den Kopf. »Glaubst du wirklich, ich würde so etwas machen? Wie kommst du darauf?«
    Sie beugt sich über den Tisch zu ihm hinüber. »Ich wurde gewaltsam entführt und ihr haltet mich hier gegen meinen Willen fest.« Sie überlegt, ob sie ihm ins Gesicht spucken soll, beschließt aber, sich das für einen geeigneteren Augenblick aufzusparen. »Haft ist Haft, egal, in wie viele Watteschichten du deine Gefangenen einpackst.« Auf diese Worte hin lehnt er sich zurück; sie muss einen wunden Punkt getroffen haben. Ihr fallen die Bilder wieder ein, damals, als er überall in den Nachrichten kam, dick in Mullbinden verpackt und in einer bombensicheren Zelle.
    »Ich verstehe dich wirklich nicht.« Jetzt klingt seine Stimme ein wenig gereizt. »Wir haben dir das Leben gerettet. Du könntest zumindest ein bisschen dankbar sein.«
    »Ihr habt mich und alle anderen hier unserer Bestimmung beraubt. Wir sind nicht gerettet, wir sind verdammt.«
    »Es tut mir leid, dass du das so siehst.«
    Nun ist sie gereizt. »Ach so, es tut dir leid, dass ich das so sehe. Jedem tut es leid, dass ich das so sehe. Aber ihr gebt keine Ruhe, bis ich es nicht mehr so sehe, stimmt’s?«
    Er steht plötzlich auf, schiebt seinen Stuhl zurück und geht im Raum auf und ab. Farnwedel schlagen ihm gegen die Kleidung. Sie weiß, dass sie ihn verletzt hat. Er sieht aus, als wollte er jeden Moment hinausstürmen. Doch stattdessen atmet er tief ein und dreht sich wieder zu ihr um.
    »Ich weiß, was du durchmachst«, sagt er. »Ich habe von meiner Familie auch eine Gehirnwäsche bekommen und wollte wirklich umgewandelt werden. Und es war ja nicht nur meine Familie, sondern auch meine Freunde, meine Kirche, alle, zu denen ich aufsah. Die einzige Stimme der Vernunft war mein Bruder Marcus. Aber ich war zu blind, ihm zuzuhören, bis zu dem Tag, an dem ich entführt wurde.«
    »Du meinst ›taub‹«, bremst sie ihn süffisant aus.
    »Wie?«
    »Zu blind zum Sehen , zu taub zum Hören. Du musst deine Sinne schon auseinanderhalten. Aber vielleicht kannst du das gar nicht mehr, jedenfalls klingt das alles ziemlich sinnlos.«
    Er lächelt. »Du bist gut.«
    »Ich muss mir deine Lebensgeschichte sowieso nicht anhören. Ich kenne sie schon. Du bist auf der Autobahn in einen Unfall geraten und der Flüchtling aus Akron hat dich als menschlichen Schutzschild missbraucht – sehr edel. Dann hat er dich umgekrempelt wie einen alten Mantel.«
    »Er hat mich nicht umgekrempelt. Ich bin dem Zehntopfergang entkommen und habe erkannt, was die Umwandlung eigentlich ist. Das hat mich umgekrempelt.«
    »Ist es besser, ein Mörder zu sein als ein Zehntopfer, Klatscher?«
    Lev lehnt sich wieder zurück, diesmal gelassener. Miracolina ärgert sich, dass er gegen ihre Angriffe so immun wird.
    »Wenn es im Leben keine Fragen gibt, ist man völlig unvorbereitet, wenn die

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