Vollendung - Thriller
war übel, als er sich das Polizeivideo zum wenigstens hundertsten Mal anschaute – jeden Schritt, den der Michelangelo-Mörder machte, in zigfach wiederholten, kurzen Sequenzen. Wie bei dem Video von Steve Rogers war das Team in Boston sofort darangegangen, das Filmmaterial digital zu verstärken, und Markham konnte alles sehen, was sich vor dem Tempel des Göttlichen Geists abgespielt hatte – nicht nur, wie der Michelangelo-Mörder die beiden Polizisten ruhig und methodisch abgeschlachtet hatte, sondern auch das Logo des Channel 9 Eye-Teams am Rand des Kamerabereichs.
Markham erinnerte sich, den Wagen in jener Nacht auf dem Highway gesehen zu haben – und wie er sich erinnerte! Er hatte jedes Mal das Bedürfnis, sich übergeben zu müssen, wenn er daran dachte, wie nahe er dem Täter gewesen war – nur ein paar Meter grasbewachsener Mittelstreifen. Aber was dem Special Agent über die brutalen Morde an den Beamten aus Exeter hinaus im Magen lag – Morde, für die er sich zum Teil verantwortlich fühlte –, war, dass er wie im Fall von Steve Rogers keine Hinweise daraus gewinnen konnte. Alles, was er feststellen konnte, war die Bauart des Transporters sowie Größe und Statur des Mörders.
Denn obwohl der Michelangelo-Mörder ganz in Schwarz gekleidet gewesen war, konnte Markham eindeutig den Körperbau des Mannes vor dem Weiß des falschen Eye-Team-Fahrzeugs ausmachen: über eins neunzig und sehr muskulös – ein Bodybuilder, genau wie es der gefeierte Profiler die ganze Zeit vermutet hatte.
Natürlich hatten die ballistischen Tests der Kugeln vom Kaliber 45 und die Spuren zu dem Transporter – einem Chevy 2500 Express, höchstwahrscheinlich identisch mit einem drei Jahre zuvor als gestohlen gemeldeten Wagen gleichen Fabrikats – in den zwei Wochen nach der schockierenden Ausstellung der Pietà durch den Michelangelo-Mörder im Echo-Point-Friedhof nichts ergeben. Am Mittwoch nach der Entdeckung der Statue war zusätzlich ein Standbild aus dem Polizeivideo veröffentlicht worden, aber alle Hinweise aus der Öffentlichkeit hatten sich als falsche Fährten erwiesen.
Die Öffentlichkeit.
Markham seufzte und beendete die Videofunktion seines Computers. Und genau, wie er es erwartet hatte, war das erste Bild auf der Startseite seines Internet-Providers Michelangelos Pietà. Der Mediensturm, der sich nach der Entdeckung der grausigen Szene in Exeter erhob, ließ die Reaktionen in der Folge des Bacchus wie ein laues Lüftchen erscheinen. Kaum war das echte Channel-9-Eye-Team-Fahrzeug vor dem Friedhof von Echo Point eingetroffen, kam es Markham vor, als wäre ein Krieg ausgebrochen – die Hubschrauber der Nachrichtensender und der Medienauflauf vor den Friedhofstoren erinnerten ihn an eine Szene direkt aus Apocalypse Now. Diesmal ließ sich nichts vor der Presse geheim halten, nicht einmal die verräterischsten Details der Pietà, die der Michelangelo-Mörder sogar signiert hatte.
Unglaublicherweise hatte der Michelangelo-Mörder eine weitere Botschaft in sein Werk gemeißelt – dieses Mal nicht an Catherine Hildebrant, sondern an die Öffentlichkeit allgemein. Markham erinnerte sich von seiner Lektüre von Die im Stein schlafen , dass die Römische Pietà das einzige Werk war, das Michelangelo jemals signiert hatte. Der Legende nach hatte er mitgehört, wie ein Besucher der Kapelle St. Petronilla die Statue einem anderen Künstler zuschrieb, worauf er später am Abend wiederkam und auf Lateinisch eine Botschaft in die Schärpe über der Brust der Madonna meißelte: » Michelangelo Buonarroti aus Florenz hat dies gefertigt.« Hildebrant behauptete in ihrem Buch weiter, die Legende sei frei erfunden und die Inschrift von Anfang an da gewesen. » Ein kühner Streich, Ruhm zu erlangen «, hatte sie es genannt. »Michelangelos offenkundigstes Werben um öffentliche Anerkennung.« Und während sich die Gelehrten um die Gründe, warum Michelangelo seine Pietà signiert hatte, weiterhin stritten, wie Markham von Cathy wusste, waren sich die beiden darin einig, warum »der Bildhauer« es getan hatte.
»Der Bildhauer aus Rhode Island hat dies gefertigt.«
»Genau wie in der Legende«, hatte Cathy zu Markham gesagt, als sie die Inschrift zum ersten Mal sah. »Er sagt der Presse, wie sie ihn nennen soll. Er korrigiert sie.«
Und die Presse gehorchte.
»Der Bildhauer« hieß er jetzt in den Zeitungen und im Fernsehen, im Internet, in den Blogs und den kranken, ihm gewidmeten Homepages, die seit der
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