Vollendung - Thriller
schämte sich Markham dennoch, dass man sie unfreiwillig als Köder benutzt hatte.
Es ließ sich nicht vermeiden. Doch jetzt musste sich alles ändern; jetzt hatte der Michelangelo-Mörder für sie persönlich getötet, hatte ihren Exmann umgebracht und ihn zweifellos als Geste der Dankbarkeit an Dr. Hildebrant für all ihre Hilfe für seine Pietà verwendet. Von daher war für Markham klar, es gab jetzt keine andere Möglichkeit mehr, als dass Cathy untertauchte. Aber für wie lange? Und würde es Cathy überhaupt wollen, wenn sie erst einmal richtig begriffen hatte, was geschehen war? Wie oft, fragte sich Markham, hatte sie sich wohl heimlich gewünscht, Steve Rogers würde von einem Lkw überfahren werden oder auf dem Eis ausrutschen und sich den Schädel brechen? Und würde sie sich jetzt jemals vergeben können? Würde sie je über die Schuldgefühle hinwegkommen, weil sie sich irgendwie für den Tod ihres Exmanns verantwortlich fühlte?
Während Markham Cathys Gesicht im gedämpften Licht des Krankenzimmers betrachtete, dachte er an Michelle. Er wünschte, er könnte Cathy diesen Schmerz ersparen; er wollte die Stoffriemen lösen, die sie festhielten, und sie einfach davontragen.
Dann dachte er daran, wie Steve Rogers auf seinem Bett festgezurrt gewesen war – auf dem Stahltisch, auf dem ihn der Michelangelo-Mörder höchstwahrscheinlich operiert, auf dem er Rogers’ letzten Atemzug gefilmt hatte.
Das Epinephrin, dachte Markham. Der Mörder führt einen Herzinfarkt bei seinen Opfern herbei, während sie in einem Bildschirm über ihnen auf sich selbst blicken, auf die Statue, zu der sie im Begriff sind zu werden. Es ist ihm wichtig, dass sie verstehen – so wie Gabriel Banford schon damals verstehen musste. Und durch den Schrecken dieses Verstehens, durch den Schrecken der Wiedergeburt, erwachen sie aus ihrem Schlaf und werden aus dem Stein befreit – genau wie Cathy und ich vermutet haben.
Markhams Gedanken gingen auf Wanderschaft.
An der Seite dieses Tischs führten Ketten nach oben. Anscheinend, damit er an der Decke aufgehängt werden kann – vielleicht lässt er sich heben und senken wie in diesen Frankensteinfilmen. Eine hohe Decke. Ja. Ein Windensystem – dann müsste er an einer Decke hängen, die für einen Keller zu hoch ist. Eine Werkstatt oder ein Lagerhaus, vielleicht. Geld. Der Täter hat Geld. Jede Menge Geld – so viel, dass er fünfundzwanzig Riesen für eine Statue verpulvern kann.
Die Pietà .
»Genau wie die, die vor drei Jahren gestohlen wurde«, hörte er im Geiste Reverend Bonetti sagen. » Jene erste war ein paar Jahre, bevor ich nach St. Bart kam, von einer reichen Familie gestiftet worden.«
Eine reiche Familie …
»Wir hatten eine ziemlich umfangreiche Bildergalerie auf unserer Website … Ein Bild war natürlich von unserer Pietà . Vielleicht hat sie Ihr Mann einfach erkannt und uns deshalb ins Visier genommen.«
Markham sah auf die Uhr. 1.03 Uhr. Zu spät, den alten Priester auf eine Ahnung hin zu wecken. Noch nicht einmal eine Ahnung – eine weit hergeholte Idee. Und eine verzweifelte dazu. Und außerdem blieb ihm keine Zeit mehr; er wusste instinktiv, dass dieses Wochenende etwas geschehen würde, vielleicht schon heute Nacht – wenn es nicht bereits passiert war. Wenn er nur wüsste, wo.
Wo, wo, wo!
»Cathy«, flüsterte er in ihr Ohr. »Cathy, ich brauche dich jetzt.«
Ihre Augen flatterten, und Markhams Herz machte einen Sprung.
»Sam?«, sagte sie benommen.
»Ja, Cathy. Ich bin’s. Du bist in Sicherheit. Alles wird jetzt gut.«
»Wo bin ich? Ich kann meinen Arm nicht …«
»Alles ist in Ordnung, Cathy«, sagte er und machte ihre Handgelenke los. »Du bist im Krankenhaus. Du hast dir den Kopf angestoßen, aber das wird wieder. Die Ärzte haben dich ans Bett gefesselt, damit du dich nicht selbst verletzen kannst – du warst hysterisch. Aber hier, siehst du? Jetzt bist du frei. Ich bin bei dir, Cathy. Ich lasse nicht zu, dass dir etwas geschieht.«
»Es war Steve, Sam«, schluchzte Cathy. »Es ist alles meine Schuld …«
»Psst, Cathy. Hör auf damit. Das stimmt nicht. So darfst du nicht denken.«
»Aber die Pietà. Er hat Steve für mich in die Pietà verwandelt.«
»Psst. Hör mir zu, Cathy. Du musst ruhig bleiben. Du musst stark sein für mich. Wir haben nicht viel Zeit. Der Michelangelo-Mörder hätte dir diese DVD nicht geschickt, wenn er sich nicht sicher gewesen wäre, dass sie seinen Plan nicht durchkreuzt, wenn er nicht
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