Volles Rohr
sprechen.«
»Am Apparat.«
Mehr war nicht nötig. Der Mann fing an zu reden wie ein Wasserfall. Er quatschte eine Viertelstunde und machte nicht mal Pause, um sich zu vergewissern, ob ich noch dran war. Er erzählte die Story nicht sehr
zusammenhängend, aber ich kapierte trotzdem recht gut, worum es ging. Er hatte zweiunddreißig Jahre in dieser Fabrik gearbeitet. Hatte gespart, damit er und seine Frau sich einen Airstream kaufen und durchs Land gondeln
konnten, wenn sie sich zur Ruhe gesetzt hatten. Er sprach endlos von dem Airstream. Ich erfuhr alles über seine farbliche Gestaltung, über das Material, aus dem die Kücheneinrichtung bestand, über die Zahl der Pumpen, die zur Spülung der Toilette erforderlich waren. Ich hätte in diesem Trailer bei Dunkelheit neue Leitungen legen können, als der Mann mit seiner Beschreibung fertig war.
Und jetzt hatte er Leberkrebs.
»Angiomyosarkom in einem Lebergefäß«, sagte ich.
»Woher wissen Sie das?« fragte er. Ich deutete es ihm an.
Sein Arzt sagte, das sei eine sehr seltene Krankheit. In Blue Kills schien sie allerdings recht häufig zu sein. Der Mann kannte noch drei Leute, die daran gestorben waren.
Sie hatten alle denselben Job gehabt wie er.
»Deswegen hab' ich mir gedacht, es würde Sie vielleicht interessieren«, sagte er schließlich, »daß diese Drecksäue seit dreißig Jahren Lösungsmittel in einen Abzugsgraben hinter der Fabrik kippen, und das jeden Tag. Inzwischen machen es die Kontrolleure, damit die Arbeiter nichts merken. Und ich weiß, sie scheißen sich fast in die Hose vor Angst, daß jemand wie Sie es spitzkriegt.«
Ich blickte auf und sah aus dem Fenster. Mir gegenüber stand ein Cadillac, der voll von Anzugträgern aus der Firma war. Dann versuchte ich, mir irgendwas zur
Beendigung dieses Gesprächs einfallen zu lassen. Was sagt man jemandem unter solchen Umständen? Der
Mann war alt und halb hinüber, und ich war
neunundzwanzig, liebte Comics und flipperte gern. Er wollte Gerechtigkeit. Ich wollte ein Bier.
Der alte Knabe erzählte mir ganz genau, wie und wo man diesen Graben fand. Man mußte das Betriebsgelände
nächtens betreten, hier und da und dort den
Sicherheitsleuten aus dem Weg gehen, hundert Meter in diese und jene Richtung laufen und dann ein bißchen
bohren. Es empfahl sich die Mitnahme einer geeigneten Sonde.
All das war etwas mehr außerhalb der Legalität, als ich's gewohnt war. Auch war dieser Graben kein Geheimnis.
Die Häufung von Geburtsfehlern und seltenen
Krebsvarianten in dieser Gegend war schon aufgefallen; es gab bereits Karten, mit Stecknadeln markiert, deren rote Köpfe um diesen Graben verteilt waren wie die
Blutspritzer einer Schußwunde. In ein paar Monaten
sollte der erste Prozeß stattfinden. Um diesen Graben würde es in den nächsten zehn Jahren einen Rechtsstreit nach dem anderen geben. Es war gut möglich, daß er die Firma eines Tages konkursreif machte.
»Hoffentlich können Sie das brauchen. Ich will nämlich, daß es an die Öffentlichkeit kommt und daß diese
Drecksäue dran glauben müssen.« Und so weiter und so fort und immer ordinärer, bis ich schließlich auflegte.
Wenn ich mit Krebskranken rede, habe ich nie den
Eindruck, daß ich für eine gute Sache arbeite. Es bringt mir auch keine Selbstbestätigung. Mir wird nur leicht übel dabei, und aus irgendeinem Grund habe ich
Schuldgefühle. Wenn Leute wie ich den Mund halten
würden, würden Leute wie er nicht mal ahnen, warum sie Krebs haben. Sie würden es auf Gott oder die
Wahrscheinlichkeit schieben. Sie würden nicht voll Gift und Galle sterben.
12
Kurz darauf machten Debbie und ich ein paar Tage
Urlaub in Neuschottland. Es war grausam, jedenfalls für mich.
»Wenn wir jetzt aufstehen …«, sagte ich eines Nachts um drei mit Blick auf meine Idioten-Digitaluhr.
»… und ganz schnell unsere Zelte abbrechen«, fuhr
Debbie fort, und ich war schon verlegen, aber sie ließ nicht locker, »und in den Wagen hüpfen und die ganze Nacht durchfahren, könnten wir noch die Fähre in die Staaten erreichen und binnen vierundzwanzig Stunden in Boston sein.«
»Ja.«
»Statt daß wir hier am Strand liegen, den Wellen
zuhören, uns entspannen und vögeln«, sagte Debbie.
»Wir vögeln doch gar nicht«, sagte ich. Aber plötzlich taten wir's. Debbie bestand darauf, daß wir uns an den Rhythmus der Wellen hielten. Typischer Schlaffi-Sex: langsam, frustrierend, im angeblichen Einklang mit der Natur. Glücklicherweise war da
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