Volles Rohr
»Wahrscheinlich ist das Zodiac da gekentert, und du bist ersoffen.«
»Sieh mir in die Augen, Jim, und schwör mir, daß du
nichts damit zu tun hast.«
Das machte er, und wir fuhren zum Reservat zurück.
»Eben fällt mir was ein«, sagte Jim, als wir fast da waren.
»Aber das bringt wohl nicht viel. Ist nur ungewöhnlich.
Als wir dich gefunden hatten, sind zwei von unseren
Leuten zum Fluß gegangen, um ihre Feldflaschen
aufzufüllen. Sie begegneten ein paar Rucksacktouristen, die am Ufer hockten und Kaffee tranken. Langhaarig,
bärtig - richtige Müsli-Typen. Kann sein, daß sie mit Akzent sprachen. Jedenfalls sagten sie, daß sie über den Fluß wollten. Sie fragten, ob sie hier irgendwo ein
Schlauchboot kriegen könnten, ob wir in letzter Zeit eins gesehen hätten.«
»Komisch. Warum haben sie nicht einfach die nächste
Brücke gesucht?«
» Genau. Doppelt komisch, weil du in der Gegend warst -
mit einem Schlauchboot. Aber unsere Leute haben
dichtgehalten.«
»Special Forces, Mann. Die können so langhaarig sein, wie sie wollen. Scheiße.« Ich sagte »Scheiße« nicht aus Angst vor den Cops, obwohl ich welche hatte. Ich sagte es, weil ich Magenkrämpfe bekam.
Als wir wieder beim Wohnmobil der Singletarys waren, mußte ich noch eine Weile vor dem Wagen sitzen
bleiben, bis die Krämpfe nachließen. Dann gingen wir nach drinnen.
Am Küchentisch saß ein Weißer und wärmte seine
Hände an einer Tasse Tee. Er hatte ein längliches
Gesicht, rote Locken, einen kurzgestutzten, dichten roten Bart und unwahrscheinlich blaue Augen. Sah ganz
gelassen, ganz konzentriert aus, fast so wie jemand, der meditiert. Als ich reinkam, schaute er mich an und
lächelte, ohne die Zähne zu zeigen. Ich nickte ihm zu.
»Wer … du kennst ihn?« fragte Jim.
»Ja. Das ist Hank Boone.«
»Schön, daß ich dich endlich mal kennenlerne«, sagte Boone.
»Ich freu' mich auch. Wie habt ihr mein Zodiac
gefunden?«
»Wir haben dich zufällig gesehen und sind einfach deiner Ölspur gefolgt.«
»Meinen Schadstoffen, mit anderen Worten. Nett, nett.«
»Oh«, sagte Jim, der es jetzt kapiert hatte. » Der Boone.«
Boone lachte. »Ja.«
25
»Wir mußten ein bißchen dran drehen, um den richtigen Effekt zu kriegen«, erklärte Boone. »Mit den Tanks, die das Zode hatte, wärst du nicht nach Neuschottland
gekommen. Also haben wir vor der Küste noch ein paar Reservekanister verteilt und sie anschwemmen lassen, damit es so aussah, als wären sie unterwegs verbraucht und über Bord geschmissen worden.« Boone kicherte.
»Eine tolle Flucht, die du da hingelegt hast.«
Er war ein merkwürdiger Typ. Ich hatte ihn nie
persönlich kennengelernt, nur Fotos von ihm gesehen
und von den alten Hasen von GEA Geschichten über ihn gehört. Sie waren sich einig: Boone wollte mit dem Kopf durch die Wand, Boone war nicht ganz dicht. Aber der Typ, der vor mir saß, war ganz anders. Er sprach langsam und leise, mit singendem Bariton, machte mitten im Satz Pause, um das richtige Wort zu finden. Aber ein Schlaffi war er nicht. Und war er nun ein Terrorist? Er erklärte es mir. Okay, er hatte mal ein Walfangschiff versenkt, weil die Leute ihm ans Leder wollten. Doch dann hatten die Besitzer von anderen Walfängern ihre alten, aber
hochversicherten Pötte serienweise auf Grund gesetzt und behauptet, der notorische Schiffeversenker sei es gewesen. Und so war er in den Ruf eines Terroristen
gekommen, obwohl er seit langem nur noch gewaltfreie Aktionen mit einer kleinen Gruppe machte. Seine Leute waren schon wieder fort, und er war geblieben, um zu hören, ob wir nicht mal zusammenarbeiten könnten.
Wir unterhielten uns noch lange an diesem Abend.
Schließlich brach Boone auf und verschwand im Wald, wo er sein Camp hatte, und ich fiel hundemüde ins Bett.
Es ging mir nicht gut, und ich mußte erst mal alles
überschlafen.
Als ich wieder aufwachte, ging es mir nicht unbedingt besser. Es juckte mich überall, und ich versuchte mich darauf zu besinnen, wann ich das letzte Mal geduscht hatte. War eine Weile her. Und so stolperte ich mit
halbgeschlossenen Augen ins Bad und stellte mich unter die Dusche. Wusch meine kurzen Haare, spürte zum
ersten Mal Seife auf meinen bartfreien Wangen, begann meinen Oberkörper zu waschen und entdeckte, daß er
sich irgendwie hubbelig anfühlte. Giftsumach vielleicht -
ich war ja durch die Wälder geflohen.
Aber als ich mich dann im Spiegel betrachtete, sah ich, daß es etwas anderes war. Lauter
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