Vollmeisen
klar, als mein persönlicher Lautsprecher wieder Fahrt aufnahm und daraus DJ Ãtzi erklang. Die Damenabteilung des Schützenvereins grölte lauthals »Ein Stern, der deinen Namen trägt« mit. Ein mir bereits sehr vertrauter Ellenbogen bohrte sich in meine Rippen.
»Mensch, Alice, komm, sing mit, wir machen hier richtig Party«, informierte mich Anneliese.
»Ãh, später vielleicht, danke, ich bin noch nicht ganz wach, weiÃt du?«, zog ich mich aus der Affäre.
Eine noch ziemlich junge Frau mit einer seltsamen Kopfbedeckung, einer Art Turban, die schräg vor mir saÃ, lächelte mir verständnisvoll zu. Aber bevor sie etwas sagen konnte, hörte ich schon wieder Annelieses quakende Stimme in meinem Ohr: »Hey, Leute, die Alice ist noch nicht wach, reicht uns mal den Korb rüber«, forderte Anneliese ihre Feierschwestern auf. Na gut, gegen einen Kaffee hätte ich wirklich nichts, denn zum Schlafen würde ich hier wohl nicht kommen, so viel war klar. Allerdings bestand der Inhalt des Korbes nicht aus Thermosflaschen voll starken Kaffees, wie ich gehofft hatte, sondern aus kleinen Schnapsflaschen mit so netten Aufdrucken wie »Schlüpferöffner« oder »kleiner Angsthase«.
Ich schaute meine Nachbarin mit groÃen Augen an. »Ihr trinkt um halb fünf morgens schon Alkohol? Das halte ich nicht für eine so gute Idee.«
»Ach, nun komm schon«, antwortete Anneliese mir, »jetzt verdirb uns doch nicht den SpaÃ. Wir kommen so selten raus, die meisten von uns gehen arbeiten, und danach kommen dann Haushalt, die Kinder und der Garten dran. Wir ham doch sonst nix.«
Jetzt tat sie mir fast ein bisschen leid. Konnte ja wirklich kein schönes Leben sein, wenn die Besichtigung einer Fischfabrik schon ein Highlight war. »Na gut, aber nur einen, ich vertrag Alkohol nicht so gut.«
»Ha«, lachte Anneliese, »das wird sich hier schnell ändern, das kriegen wir schon hin, bald bist du genauso trinkfest wie wir, wirst schon sehen.«
Welch reizende Aussichten, könnte ich vielleicht in meinen Lebenslauf aufnehmen â erfahren in der Pornobranche und trinkfest.
Etliche Schlüpferhüpfer später â oder Schlüpferstürmer oder wie auch immer sie hieÃen, nach dem siebten war ich mir da nicht mehr sicher â erreichten wir die Fischfabrik. Zwanzig Schützendamen in verschiedenen Stadien der Trunkenheit torkelten aus dem Bus und begannen den Sturm auf den Fisch. Ein Angestellter sah uns mit schreckgeweiteten Augen entgegen und versuchte, den Ansturm aufzuhalten, doch er blieb erfolglos. Anneliese, Susi und noch drei andere Damen bildeten einen Kreis um den armen Mann und tanzten um ihn herum. Dazu sangen sie lauthals ihr Lieblingslied von Andrea Berg: »Du hast mich tausendmal belogen, du hast mich tausendmal verletzt, ich bin mit dir so hoch geflogen, doch der Himmel war besetzt.« Nun gut, man muss es mögen. Und, von wegen besetzt, das betraf auch die Toiletten im Eingangsbereich, was mich nach einer zweieinhalbstündigen Busfahrt vor groÃe Probleme stellte. Die löste ich, indem ich schnell eine Kellertreppe hinunterstieg und dort, zwischen vielen Lagerräumen, tatsächlich eine Toilette, und sogar eine freie, fand.
Aber noch während meine Blase damit beschäftigt war, sich von den Schlüpferstürmern, oder wie auch immer sie hieÃen, zu trennen, fielen mir auf einmal die Augen zu. Ganz bestimmt war es nicht meine Absicht, auf einer Toilette in einer Fischfabrik einzuschlafen, aber stehen Sie mal morgens um vier auf und trinken dann einen Kurzen nach dem anderen, während Ihnen deutsches Schlagergut um die Ohren gehauen wird!
Zum Glück war es auf dieser Ãrtlichkeit so unbequem, dass ich nach etwa einer halben Stunde wieder aufwachte und meine Schützenschwestern suchte. Ich irrte durch penetrant stinkende Hallen und an Tischen vorbei, an denen arme Frauen saÃen und von Hand Fisch ausnahmen. Hm, das lieà die Tätigkeit in einer Pornoproduktion gleich in einem ganz anderen Licht erscheinen. Aber meine lustige Truppe konnte ich nirgends entdecken. Stattdessen kam ein Mann mit einer grünen Gummischürze auf mich zu und fragte mich irgendwie unhöflich, was ich hier zu suchen hätte. Das konnte ich ihm genau sagen: »Ich suche die Sechs-Uhr-dreiÃig-Besuchergruppe, ich habe wohl den Anschluss verpasst.«
»Sind das die Weiber vom
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